„Es wird viele neue Kooperationen geben“

Seit Juni ist Anne-Cathrin Lessel künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des Lofft, das erst seit drei Monaten in der Baumwollspinnerei seinen Sitz hat. Die 31-Jährige spricht im Interview über Vorhaben, neue Stellen und den Generationswechsel in Führungspositionen der Leipzigs Kulturlandschaft. (LVZ vom 20./21.07.2019)

Anne-Cathrin Lessel, seit Juni 2019 Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin des Lofft. Foto: Tom Dachs

Eine neue Ära hat für das Lofft nicht nur wegen der Eröffnung der neuen Räume in der Baumwollspinnerei im April begonnen: Seit Juni ist Anne-Cathrin Lessel künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des Theaters. Die 31-Jährige übernahm den Job von Dirk Förster, der freischaffend als Tanzproduzent arbeiten will. Im Interview äußert sich Lessel über Pläne für das Lofft, Brücken zwischen bildender und darstellender Kunst und zum Generationswechsel in Führungspositionen der Leipzigs Kulturlandschaft.

Schließen Sie seit Juni die Tür des Lofft mit einem anderen Empfinden auf?

Einerseits schon, denn es fühlt sich natürlich anders an, die alleinige Verantwortung zu tragen. Andererseits spielt das ins tägliche Arbeits-Empfinden nicht groß hinein – das Lofft ist mir ja seit Jahren sehr vertraut, und die neue Herausforderung ist spannend. Jedenfalls schließe ich die Tür immer sehr gern auf.

Was haben Sie in den zehn Jahren Lofft-Zugehörigkeit alles gemacht?

Ich habe während meines Studiums in der Lofft-Werkstatt begonnen und dann relativ schnell dem Vorstand sowie dem künstlerischen Beirat angehört. In den letzten acht Jahre war ich für die Programm- und Produktionsleitung verantwortlich.

Wie schwer ist das, in einer vertrauten personellen Konstellation eine neue Rolle als Leiterin und Geschäftsführerin einzunehmen?

Das Team hat es mir sehr leicht gemacht, die Übernahme lief völlig unkompliziert ab. In Zusammenarbeit mit Dirk Förster habe ich schon in den letzten Jahren strategische und künstlerische Entscheidungen mitgetroffen, so dass die Veränderung keinen allzu großen Einschnitt bedeutete. Das Lofft-Team ist großartig. Nun stehen weitere personelle Neuerungen an.

Welche?

Die Produktionsleitung wird ab September neu besetzt. Außerdem haben wir zwei neue Stellen nach der Sommerpause: eine in der Technik und jemanden fürs Audience Development – das Lofft wächst.

Was sind die Aufgaben für diese Stelle?

Im Audience Development geht es darum, sich nachhaltig um Publikum zu kümmern, sowohl um junges wie auch älteres. Wir fragen: Wer gehört nicht zu unseren Besucherinnen und Besuchern und warum nicht? Zu Unrecht halten manche das Lofft-Programm für exklusiv. Um diese Meinung zu ändern, entwickeln wir Vermittlungs-Aktionen und neue Kommunikations-Ansätze, auch auf digitalem Weg. Wir gehen aber auch beispielsweise nach Grünau. Der Stadtteil nimmt eine sehr interessante Entwicklung, die Bevölkerung wird dort immer heterogener. Deshalb knüpfen wir Kontakte zum Komm-Haus und beteiligen uns an Projekten am Kulkwitzer See, wir wollen auch dort auf uns aufmerksam machen. Grünau und Lofft sind ja nun wirklich nicht weit voneinander entfernt.

Werden sich unter Ihrer Leitung Programm-Schwerpunkte verschieben?

Bestehende Kooperationen wie zum Beispiel mit dem Tanzlabor Leipzig oder der Sebastian Weber Dance Company soll es unbedingt ebenso weiterhin geben wie deutschlandweite Koproduktionen. Dazu wollen wir mehr Projekte nach Leipzig holen, in denen Tanz, Performance und Installatives ineinanderfließen, adressiert an alle Generationen. Außerdem ist „Neuer Zirkus“ ein Schwerpunkt, den wir ausbauen werden.

Wie sind Sie darauf gekommen?

Diese Symbiose von Akrobatik und zeitgenössischem Tanz ist eine Kunstform, die noch immer ins stereotypische Unterhaltungs-Klischee gedrückt wird, sich aber gerade enorm entwickelt und weit weg ist von Clowns mit roter Nase. Auch der Neue Zirkus ist generationsübergreifend faszinierend. Und das Lofft bietet schon allein in der Saalhöhe optimale Bedingungen dafür, die kaum jemand hat.

Das Lofft verweist auf die Verwandtschaft von darstellender und bildender Kunst – was ist da künftig geplant?

Das fängt an bei unserem Foyer, das sich anbietet, um temporär Kunst auszustellen. Schnittstellen gibt es auch bei der Auswahl unserer Koproduktionen für die erste Hälfte der nächsten Spielzeit: Im Beirat saß Arne Linde von der ASPN Galerie und hat für einen anderen, herausfordernden Blick auf die vorgestellten Produktionen gesorgt. Zum nächsten Spinnerei-Rundgang im Herbst veranstalten wir einen Tag der offenen Tür. Dann wird es auch wieder Diana Wessers Audiowalk geben, den sie im Juni bei unserem „X Spindeln“ äußerst erfolgreich vorgestellt hat und der Historie und Gegenwart des Areals spiegelt.

Im April ist das Lofft in die Spinnerei umgezogen. Wie fällt die Bilanz nach einem Vierteljahr aus?

Sehr erfreulich. Die Arbeitsbedingungen könnten nicht besser sein; Mario Schröder, der mit dem Ballett der Oper Leipzig hier gastierte, war total begeistert. Auch mit den Zahlen sind wir zufrieden. In den knapp drei Monaten kamen mehr als 3.000 Besucher. Einige Stammgäste sind weiter dabei, einige neue dazugekommen. Wir erwarten uns weiteren Zuspruch, wenn die Halle 7 mit öffentlichen Verkehrsmitteln besser zu erreichen ist. Laut Stadtratsbeschluss soll es ab Herbst eine neue Bushaltestelle an der Saarländer Straße geben.

Apropos Beschlüsse – fühlt sich das Lofft in Sachen Wertschätzung seitens der Stadt ebenfalls angekommen?

Definitiv. Der neue Standort ist ein großes Bekenntnis der Stadt zum Lofft und zur Freien Szene. In der Vergangenheit mussten wir lange mit Ein- oder Zweijahresverträgen und Unwägbarkeiten zurecht kommen, jetzt haben wir durch den neuen Kontrakt 15 Jahre Sicherheit. Auch die jüngste Aufstockung der Mittel für die Szene spricht für sich.

Mit 31 sind Sie eine junge Theaterchefin, Winnie Karnofka – Jahrgang 1978 – wird das Theater der Jungen Welt übernehmen, eine neue Leitung für die Euro-Scene steht an, Tobias Wolff als designierter neuer Opernintendant ist nicht mal Mitte 40. Wofür steht der Generationswechsel in Leipzigs Kulturlandschaft?

Zum einen für mehr junge Frauen in Führungspositionen, man denke auch an Skadi Jennicke als Kulturbürgermeisterin. Er steht aber auch für mehr Offenheit und Neugier, was andere Sparten betrifft. Das Denken nur fürs jeweils eigene Haus ist nicht mehr zeitgemäß, es geht um Vernetzung. Deshalb wird es viele neue, spannende Kooperationen geben. Das sind tolle Aussichten!

Mark Daniel

Quelle: LVZ vom 20./21.07.2019