Wenn die Welt schrumpft

Jan Sobries „Wutschweiger“ feiert mit dem Theater der Jungen Welt in einer Grünauer Halfpipe Premiere (LVZ vom 25.09.2020)

Jan Sobrie hat für Kinder ab acht „Wutschweiger“ inszeniert: mit Alida Bohnen und Benjamin Vinnen.
Foto: Stefan Hoyer/TdJW


Jedes vierte Kind geht aus Armut ohne Schulbrot aus dem Haus. So stand es in einem belgischen Zeitungsartikel, der Jan Sobrie zu seinem Theaterstück „Wutschweiger“, geschrieben mit Raven Ruell, animiert hat. Preise hat es schon gewonnen, darunter den deutsch-niederländischen Kinder- und Jugenddramatikerpreis „Kaas & Kappes“. Jetzt hat Sobrie, Autor, Regisseur und Schauspieler, sein Stück in deutschsprachiger Erstaufführung am Theater der Jungen Welt selbst inszeniert.
Auf die Theaterbühne kommt „Wutschweiger“ erst am 28. März. Die Premiere fand am Donnerstagvormittag in Grünau statt. Open air in einer Halfpipe, die Plattenbauten als Hintergrundkulisse.
Hinter einem dieser Fenster vermutet man das neue Zimmer von Ebeneser. Der berufliche Abstieg seines Vaters hat ihn hierher gebracht. Jetzt ist alles kleiner als früher. Am Ende schrumpfen sogar die Eltern, mit jeder Rechnung, die sie nicht bezahlen können. Ein treffendes Bild für schwindendes Selbstwertgefühl und den Verlust der bisherigen Elternrolle. Benjamin Vinnen spielt den Viertklässler und steht linkisch in zugeknöpftem Lacoste und Cordhose, Relikte aus besseren Tagen, zwischen dem Beton.
Dort trifft er auf seine neue Klassenkameradin Sammy (Alida Bohnen), die Kontrastfigur zu Ebeneser: Laut, voller Energie, Sportklamotten. Zwei, die aus der heilen Kinderwelt gestürzt sind. Und von nun an einander Halt geben. Bis hinein in ihren Schweigeprotest, weil sie nicht mit ins Skilager fahren können.
Vinnen und Bohnen schlüpfen überzeugend in die Kinderrollen. Ihnen gelingen die ständigen Wechsel zwischen Wut und Traurigkeit und der selbstvergessenen Freude am Spiel, wenn etwa der Fußball rollt. Ebenso zwischen den Rollen, wenn sie sich in Lehrer oder Mitschüler verwandeln.
Aus kurzen Rückblicken setzt sich die jeweilige Hintergrundgeschichte der Kinder zusammen. Sobrie schont das junge Publikum ab acht Jahren nicht, spart nicht mit Schicksalsschlägen, besonders im Fall Sammys – und hat die Szenen doch schnell und unterhaltsam ineinander geschnitten. Immer bleibt Hoffnung und ein Rest Lebenslust. Beatboxend oder trommelnd auf dem Fass schaffen sich Gefühle roh und musikalisch Raum. Und manchmal hilft der Zufall: Als Sammy erzählt, wie der Vater seine Stelle als Briefträger verlor, rollt ein Postfahrrad vorbei.
Entstanden ist eine Inszenierung, die ein gesellschaftliches Kernproblem ohne Anklage verhandelt und mit viel Komik und surrealer Symbolik zugänglich macht. Das TdJW trägt das Thema Kinderarmut weiter und plant für November die Konferenz „Mutmacher“, die Kinder mit Politikern ins Gespräch bringen wird.


Nächste Vorstellungen u.a. am 28.9. (10 Uhr), 1.10. (17 Uhr), 5. und 9.10. (10 Uhr)
Vorstellungsbesuch nur mit Voranmeldung unter Tel. 0341 4866016
Premiere drinnen (Kleiner Saal): 28. März 2021


Dimo Rieß

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 25.09.2020