Wie gut ist das Leben in Grünau?

Langzeitstudie seit 1979: Erneute Befragung der Einwohner steht an (LVZ vom 25.06.2020)

Plattenbau in Grünau: Vor fünf Jahren gaben die meisten Befragten an, gern hier zu leben. Foto: André Kempner

Fast wirkt es so, als hätte sich zwischen 1979 und 2015 nicht viel getan. „Fühlen Sie sich wohl in Grünau?“ Auf diese Frage einer Langzeitstudie antworteten vor 41 Jahren 66 Prozent der befragten Einwohner uneingeschränkt mit „ja“. Vor fünf Jahren waren es 68 Prozent. Kaum ein Unterschied.
Ab Freitag haben 1000 Grünauer erneut die Möglichkeit, mittels Fragebögen Auskunft über die Lebensqualität in dem Leipziger Stadtteil zu geben. Es ist die elfte Befragung in vier Jahrzehnten und eine international einmalige Versuchsanordnung: Seit ihrer Entstehung wird die Plattenbau-Siedlung soziologisch begleitet.
Wissenschaftlerin Sigrun Kabisch war von Anfang an beteiligt, mittlerweile forscht die Professorin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und leitet die Grünauer Intervallstudie von dort aus. „Es kann endlich losgehen“, schreibt sie im Stadtteilmagazin „Grün-As“. Die Corona-Pandemie hatte den ursprünglichen Zeitplan zwar durcheinandergewirbelt, doch jetzt hat das Gesundheitsamt grünes Licht gegeben.

Grün und ruhig, aber auch ein Gefühl der Unsicherheit

Die Hygiene- und Abstandsregeln halten freilich auch die UFZ-Mitarbeiter ein, die am Freitag an zufällig ausgewählten Haustüren klingeln und außerhalb der Wohnungen Fragebögen übergeben. Nach einigen Tagen werden die Zettel – bestenfalls ausgefüllt – zu einem vereinbarten Termin wieder abgeholt. Die Teilnahme ist freiwillig.
Das UFZ sichert zu, die Antworten streng vertraulich zu behandeln. Wie in den vorherigen Runden streben die Wissenschaftler eine hohe Rücklaufquote an. Bislang hätten stets mehr als 75 Prozent alles ausgefüllt, heißt es aus dem UFZ. Dort ist man stolz auf eine „hohe Aussagefähigkeit“ der Ergebnisse.
Bei der jüngsten Befragung 2015 zeigten sich die Grünauer vor allem mit den guten Einkaufsmöglichkeiten, der grünen und ruhigen Umgebung und der Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr zufrieden. Gleichzeitig bemängelten viele, dass der Stadtteil nicht sauber genug sei und dass sie sich hier oft unsicher fühlten. Die Ergebnisse der Erhebung flossen in das „Integrierte Stadtteilentwicklungskonzept Leipzig-Grünau 2030“ ein, das der Stadtrat 2018 beschloss.

Grünau wird älter – wann kommt der Generationswechsel?

Die Forscher sagten vor fünf Jahren die Alterung der Bevölkerung als „wesentliche Herausforderung“ für die Zukunft Grünaus vorher. 1983 waren nur zwei Prozent der Befragten 55 und älter, dagegen 58 Prozent jünger als 35. Drei Jahrzehnte später betrug der Anteil der Ü-55-Jährigen 62 Prozent. 17 Prozent waren unter 35. Die Wissenschaftler rechnen damit, dass ein Generationenwechsel ansteht und „sozialstrukturelle Veränderungen“ mit sich bringt: Vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen zögen her.
Auch neue Inhalte tauchen im Fragebogen auf. Ganz aktuell spielen die Auswirkungen der Corona-Krise ebenso eine Rolle wie etwaige Folgen des Klimawandels auf Quartiersebene. Darüber hinaus richten die Soziologen ihren Blick darauf, wo sich innerhalb Grünaus unterschiedliche Entwicklungen vollziehen und wie verschiedene Altersgruppen Schulen, Kindergärten und die Gesundheitsvorsorge vor Ort bewerten. Auch die Integration von Einwanderern ist ein Thema sowiegenerell der Bevölkerungstrend: Wer zieht zu? Wer bleibt? Wer verlässt Grünau?
Auch wenn sich die Grünauer in ihrem Stadtteil heute offenbar so wohl fühlen wie vor vier Jahrzehnten: Das Leben in der Großwohnsiedlung hat sich fraglos verändert. Und die Eigenwahrnehmung fiel kurz nach dem Ende der DDR wesentlich düsterer aus: Anders als 1979 und 2015 gaben 1992 nicht weit über 60 Prozent, sondern nur 35 Prozent der Befragten an, dass sie uneingeschränkt gern in Grünau leben.

Mathias Wöbking

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 25.06.2020


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