Die Klassenleiterin spielt „Brieftaube“, der Sportlehrer kontrolliert den Toilettenzugang – an Leipziger Oberschulen ist unter strengen Auflagen die Prüfungsvorbereitung gestartet. Eine Stippvisite in der 94. Oberschule. (LVZ vom 22.04.2020)
Der Sportlehrer sitzt vor den Toiletten. Und passt genau auf, dass die Jugendlichen sie nur einzeln betreten. Überall in der 94. Oberschule, derzeit im Interim in die Max-Planck-Straße 1-3 ausgelagert, sind Laufwege abgesperrt und wie im Supermarkt mit Pfeilen markiert. Schon am Eingang des Gebäudes hängen Schilder, die die Jugendlichen darauf hinweisen, den Mindestabstand zu wahren. Wie in anderen Schulen auch hat die „94.“ damit begonnen, ihre Abschlussklassen auf die Prüfungen vorzubereiten. Unter strengen Hygienevorschriften, um die Schüler und Lehrer davor zu bewahren, sich innerhalb der Schule mit dem Coronavirus anzustecken. Etwa 80 der ansonsten 420 Kinder und Jugendlichen der Oberschule bewältigen ihre letzte Etappe, der Rest muss nach wie vor im Home-Schooling den Unterrichtsstoff bewältigen.
„Das ist für viele Familien eine schwierige Situation, aber wir bemühen uns alle, das Beste daraus zu machen“, sagt Lehrerin Conni Wosch, die Englisch und Informatik unterrichtet. Informatik fällt allerdings weitgehend aus, weil nicht alle daheim W-Lan, Computer oder Smartphone besitzen. Die Pädagogen agieren dabei mit sehr viel Fingerspitzengefühl, damit die sozial Schwächeren, die sich auch keine Markenklamotten leisten können, sich nicht noch mehr ausgegrenzt fühlen. Da kommt es vor, dass Lehrer Aufgaben per normalem Brief verschicken müssen.
Im Schulhaus tragen derweil alle Anwesenden Mund-Nasenschutz-Masken. Dabei wird auch aufgepasst, dass es in den Pausen nicht zu Gruppenbildungen kommt. Das ist für alle nicht leicht, Schule muss sich in diesen Tagen der Krise quasi neu erfinden.
Auffällige Ruhe im Schulhaus
„Wir haben Eingangskontrollen gemacht und alle über die notwendigen Hygienemaßnahmen belehrt“, sagt Schulleiter Bernd Liebau. Die Schüler, die eigentlich aus Grünau, Lausen oder Miltitz stammen, werden mit Sonderlinien ins Waldstraßenviertel transportiert. Denn ihr eigentliches Domizil in der Miltitzer Straße wird gerade zum Schulzentrum Grünau ausgebaut (die LVZ berichtete). „Das hat den Vorteil, dass sie von der Straßenbahn schon mit Mund-Nasen-Schutz kommen“, so der Direktor.
Am Vormittag ist es dann im Schulhaus auffällig ruhig. Die Abschlussklassen schreiben Klassenarbeiten unter Prüfungsbedingungen, als Test für die Klausuren Ende Mai. Zwei Termine seien allerdings bereits der Schulschließung zum Opfer gefallen. Am Mittwoch ist Deutsch dran, am Donnerstag folgen die Tests für die Naturwissenschaften wie Bio, Physik und Chemie.
Unterricht im Rotationsprinzip
Unterrichtet wird mit Sonderplan, dabei werden die Klassen in einer Art Rotationsprinzip in Gruppen geteilt. Dafür ist im Schulhaus momentan Platz genug. Wie es aussieht, wenn im Mai vermutlich weitere Klassen kommen, werde sich zeigen. „Wir warten ab, was beschlossen wird und müssen sehen, ob der Unterricht zeitversetzt stattfinden muss“, so der Schulleiter. Sportlehrer Peter Schille: „Auch wenn es schwerfällt, viele Schüler müssen noch eine Weile zu Hause bleiben.“ Er selbst hat Ausdauer- und Leichtathlethikübungen kreiert, damit sich die Jugendlichen nach Anleitung bewegen können.
„Es ist schon befremdlich, dass alle Masken tragen und wir immer Abstand halten müssen“, erzählt Schülerin Larissa Schmidt (15) aus der Zehnten. Mit der Vorbereitung auf die Klausur habe sie aber kein Problem, die Betreuung habe funktioniert. Und manchmal spielte auch die Klassenlehrerin „Brieftaube“.
Schule entdeckt Lernplattform
Für die Fernbetreuung hat die Schule die Plattform „LernSax“ für sich entdeckt, die für einen „Kaltstart“, wie Lehrerin Conni Wosch sagt, gut gestartet sei. „Das ersetzt zwar den Kontakt im Unterricht nicht, aber wir haben wieder Kontakt. Aus Gesprächen mit den Eltern weiß ich, dass Motivation bei vielen die größte Hürde ist.“ Derzeit werden Lerninhalte in Englisch weitgehend wiederholt. Es gibt aber auch kreative Aufgaben, etwa ein Poster gestalten oder Texte schreiben. Kontrolliert werden kann nicht alles. „Wer will, kann Aufgaben abgeben, um gute Lernleistungen bewerten zu lassen.“ Schlechte Noten gibt es derzeit nicht. Denn allen ist bewusst: Nicht alle können selbstständig arbeiten. Und es soll keiner der Schwächeren auf der Strecke bleiben.
Kerstin Höche, die Deutsch und Wirtschaft-Technik-Hauswirtschaft/Soziales lehrt, stellt viele kreative Aufgaben. „Wenn es um gesunde Ernährung geht, können Schüler ein Menü zusammenstellen und aus ihrer eigenen Erfahrungswelt viele Ideen finden“, nennt sie ein Beispiel. Als Klassenleiterin steuere sie die Aufgabenverteilung, mache Mut, helfe das Lernen nach Plan zu strukturieren und beantworte Fragen. „Die Ergebnisse der Aufgaben fließen in den Unterricht ein, wenn es ihn wieder gibt.“ Sie ist froh, dass sie sich trotz Schulschließung kümmern kann und hält „LernSax“ für „die Entdeckung der Corona-Zeit“. Allerdings müsse man mit ihr behutsam umgehen, damit sich keiner erschlagen fühlt. „Mir ist es wichtig, dass niemand aufhört zu lernen“, betont Höche: „Schließlich wollen wir nicht alles einreißen, was wir im Unterricht aufgebaut haben.“ Wenn alles vorbei ist, muss es eine Ideen-Sammlung geben, wie digitale Angebote ausgeweitet werden können. Um eine neuerliche Krise besser vorbereitet zu sein.
Mathias Orbeck