„Warum haben die Leipziger so gewählt?“


Bundestagswahl 2017:
Der Linke-Direktkandidat Sören Pellmann gewinnt im Süden und setzt sich gegen Thomas Feist (CDU) durch. Die AfD ist in manchen Bezirken stärkste Kraft, die SPD kommt nicht über 16 Prozent – warum hat Leipzig so gewählt?

„In den sozial schwachen Regionen ist die AfD eine starke Partei. Die Wähler sind unzufrieden und wählen deswegen aus Protest AfD“, sagt Hendrik Träger, Politikwissenschaftler an der Uni Leipzig und Spezialist in Sachen Parteien und Wahlen. „Die Leute wählen nicht aus 100 Prozent inhaltlicher Überzeugung, sondern vor allem aus Unzufriedenheit.“ Insgesamt seien die Menschen in den neuen Bundesländern nicht auf eine Partei festgelegt, der sie über Jahre treu bleiben. „In Grünau waren früher die Linken sehr stark. Dass nun die AfD, also das andere Extrem, dort so viele Stimmen holt, deutet auf Protestwähler hin. Die Wähler sind sehr wechselbereit.“

Ähnliche Erfahrungen haben auch die Leute gemacht, die täglich in Kontakt mit den Bewohnern der einzelnen Stadtteile stehen. So wie Antje Kowski. Die Stadtteilmoderatorin des Quartiersmanagements Grünau schließt auf eine reine Protestwahl der Grünauer. Viele der Bewohner stehen nach Kowskis Erfahrung nicht hinter den Inhalten der AfD, fühlen sich aber mit ihren Problemen von der aktuellen Politik im Stich gelassen. Gerade in Grünau-Mitte sei zu sehen, wo die Ursachen liegen: Viele Bewohner gehen arbeiten und müssten dennoch aufstocken. Zudem wurde Grünau in die Liste der gefährlichen Stadtteile in Leipzig aufgenommen. „Die Bewohner haben aber seit Wochen deutlich weniger Polizeipräsenz wahrgenommen“, so Kowski. Es gebe spürbar keine Hilfe – sie fühlten sich schlichtweg alleingelassen. Zusätzlich belaste Grünau ein vermehrter Migrantenzuzug. „Die Bewohner fühlen sich von der aktuellen Regierung nicht mehr ernst genommen“, sagt Kowski. Daher wählten sie die AfD, deren zentrales Thema die Neuordnung der Asylpolitik in Deutschland sei. Was die Stadtteilmoderatorin positiv überraschte, war die hohe Wahlbeteiligung. Während vor vier Jahren im Schnitt etwa 50 Prozent an die Urnen gingen, gaben nun annähernd 70 Prozent der Grünauer ihre Stimmzettel ab.

In Schönefeld-Abtnaundorf holte die AfD 21 Prozent der Zweitstimmen, in Schönefeld-Ost 24,7 Prozent. Der Vorsitzende des Bürgervereins Schönefeld, Karsten Tran, führt das auf die fehlende Basisarbeit der Parteien zurück. Und dabei sei es auch egal, um welche Partei es geht.
Die Überraschung des Wahlabends: Linken-Direktkandidat Sören Pellmann nimmt im Süden Thomas Feist (CDU) das Direktmandat ab. „Der Wahlkreis Süd ist ein besonderer, sehr vielgestaltiger Wahlkreis“, sagt Träger. „Dort nehmen sich SPD, Linke und Grüne traditionell gegenseitig die Stimmen weg. Das hat der CDU in der Vergangenheit oft genutzt.“ In Connewitz und der Südvorstadt seien die Linken traditionell sehr stark. „Dieses Jahr könnten die Wähler sich gesagt haben: Wir wollen AfD und CDU schwächen“, so Träger. Deswegen könnten viele, die sonst zu SPD oder Grünen geneigt hätten, mit der Erststimme links gewählt haben.
Für eine strategische Wahl vieler Bürger spricht auch die Aktion #CDUMandatabnehmen der Leipziger Linken. „Lasst uns das Ziel #CDUMandatabnehmen strategisch angehen – #r2g sollte sich in #Leipzig nicht weiter die Stimmen abnehmen“, twitterte Linken-Direktkandidatin Franziska Riekewald am 8. September. Grünen-Stadtrat Norman Volger teilte die Aktion auf Facebook: „Wer nicht will, dass Feist den Leipziger Süden vertritt, muss sinnvoll wählen.“ Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Monika Lazar solidarisierte sich mit der Aktion und gratulierte Pellmann nach der Wahl.

Sophie Aschenbrenner und Mathias Schönknecht

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 26.09.2017