„Umwerfend schön“

Sandra von Holns grandiose „Schneekönigin“ im Grünauer Theatrium
Theaterkritik der Leipziger Volkszeitung vom 28.11.2011:

In fast jedem Theater steht zur Weihnachtszeit das obligatorische Weihnachtsmärchen auf dem Programm. Ein wenig Glitzer hier, ein wenig Heimeligkeit dort, und am Ende ziehen die Familien relativ unaufgeregt in die Kälte hinaus – mit Überraschungen rechnen die wenigsten Zuschauer. Die Königsklasse ist erreicht, als kleines Theater ein Weihnachtsmärchen zu inszeniert zu haben, was den Kleinen wie den Großen Freude bereitet und am Ende diesen „Oha-Effekt“ hat. Wie so oft ist das dem Theatrium auch in diesem Jahr mit der „Schneekönigin“ auf beeindruckende Weise gelungen.
Mit einer enormen Vielfalt und großem Ideenreichtum erzählt Regisseurin Sandra von Holn (die dazu noch selbst in fünf Rollen auf der Bühne aktiv wird) Hans Christian Andersens Geschichte um die besten Freunde Kay und Gerda. Von den Splittern eines Zauberspiegels getroffen, gelangt Kay in den Bann der Schneekönigin und folgt ihr willenlos in ihren Palast. Gerda begibt sich auf der Suche nach ihm auf eine spannende Reise voll interessanter Begegnungen und Erlebnisse. Im eisigen Palast angelangt, kommt es zum spektakulären Finale zwischen den beiden Frauen, an dessen Ende der Sieg der Liebe steht.
Sandra von Holn findet mit ihrer Inszenierung den Mittelweg, die wunderbare Geschichte um Liebe und Freundschaft nicht zu überladen, sie aber doch weiterzuentwickeln und mit modernen Details spannend zu machen und zu halten. Insbesondere auf der Reise Gerdas zum Eispalast überrascht von Holn die Zuschauer mit witzigen Überspitzungen der Originalfassung. So wird aus der guten Zauberfee eine sonderbare, transsexuelle Dame mit mehr oder minder begnadeten Zauberkünsten; aus der hellseherischen Lappin eine kiffende Hippie-Braut (ebenfalls Sandra von Holn) und aus den bösen Räubern zurückgebliebene Steinzeitmenschen, die nach Menschenfleisch lechzen.
Abgesehen von einer großartigen, unaufdringlichen Kulisse und wunderbaren Kostümen sind es die fünf Darsteller, die Kinderaugen zum Leuchten bringen und Bauchmuskelkater bei den Erwachsenen erzeugen. Anne Rab spielt die Gerda auf eine bezaubernde, gutmütige Art und Weise, ohne dabei allzu weinerlich zu wirken. Rab legt in ihrem Spiel die Sorge und Verzweiflung in Bewegungen und Mimik, entwickelt ihren Charakter aber auch zur mutigen und willensstarken Frau.
Almut Koch wird zu Recht als Allround-Talent der Aufführung bejubelt: die alberne Blumen-Rolle und grunzende Steinzeitfrau beherrscht sie ebenso wie die eisige, anmutige Schneekönigin (wunderbare Reaktion der Kinder im Publikum: „Ooooh, wie schön sie ist!“) und die lebendige Spieluhr. Obwohl Georg Herberger nicht gerade mit den Charakterrollen der „Schneekönigin“ betraut wurde, sticht auch er durch hervorragende schauspielerische Leistung hervor. Ohne albern zu wirken, entzückt er als transsexuelle Zauberfee und kurzsichtiger Rabe und sorgt für minutenlange Lachanfälle auf Publikumsseite.
Dem Theatrium ist es mit ihrer Inszenierung der „Schneekönigin“ gelungen, die „Pflichtübung Weihnachtsmärchen“ nicht nur zu meistern, sondern damit alle zu überraschen. Herausgekommen ist ein intelligentes Stück voller Witz und Charme, das beim Zuschauer ein wohliges Gefühl hinterlässt, ohne dabei betulich oder kitschig zu werden.
„Die Schneekönigin“ – wieder einmal ein Argument dafür, die Bühne in Grünau auch von städtischer Seite zu unterstützen. Wie berichtet, ist der Spielbetrieb gefährdet, weil Arbeitsmarktprogramme auslaufen oder zusammengekürzt werden.Fatal, wenn hier nicht weiter Theater gemacht werden könnte…
Theresa Rentsch


Aufführungen der „Schneekönigin“ bis 22. Dezember:
Dienstag bis Freitag: 10 Uhr (am 06. und 22. Dezember auch 14 Uhr)
Samstag + Sonntag: 16 Uhr

Vorbestellung sind wegen großer Nachfrage empfohlen (Telefon: 0341-9413640).


Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 28.11.2011