„Theatrium-Premiere: Schulhof am Ufer des Acheron“

Kulturkritik der Leipziger Volkszeitung vom 21.03.2011:

„Just remember the death is not the end“, verkündete schon Bob Dylan. Und das war nicht nur tröstlich gemeint. Denn die Möglichkeit, dass, in welcher Art Jenseits auch immer, der irdische Zirkus dort in irgendeiner Art seine Fortsetzung findet, schließt auch dieser Song nicht aus.
Und wohl auch Georg Herberger nicht. Der Schauspieler hat sich jetzt im Grünauer Theatrium an eine Regiearbeit gemacht, in der er literarische Motive und Figuren an einem Ort aufeinander treffen lässt, in dem sich Zeit und Raum aufheben, in dem das Leben vielleicht vorbei, aber der Tod noch nicht endgültig ist. In dieser Zwischenwelt an den nebligen Ufern des Acheron treffen sich Shakespeares Romeo, Julia und Tybalt plus die vom eifersüchtigen Gatten Othello gemeuchelte Desdemona. Ferner harren auch noch Paris, Isolde, eine Dolores und ein gewisser Orpheus auf jene Instanz, die entscheidet, in welche Richtung diese Gruppe ihre Reise fortsetzt.
Denn als hätte Charon, der Fährmann des Todes, in einer ruhigen Minute Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ gelesen, installiert er für seine hier versammelte Kundschaft eine kleine Versuchsanordnung auf Gedeih und Verderb: Beweisend, dass sie aus ihren blinder Liebe geschuldeten tragischen Fehlern was gelernt haben, sollen sie diese hier korrigieren. Danach wird entschieden, ob die Reise zurück ins Licht oder endgültige Dunkel geht.
Eine Geometrie der Liebe, die von Vollkommenheit weit entfernt ist. Wer liebt, ist egoistisch, grausam, verzweifelt. Herbergers Inszenierung zeigt das exemplarisch auf. Und wagt dabei formal das Artifizielle. Setzt mehr auf Poesie als Psychologie, mehr aufs Fragen-Stellen als Antworten-Geben. Kurz: vertraut der Kunst. Anders gesagt: zeigt Theater endlich mal wieder nicht als Erklär- sondern Erkundungsmaschine.
Und gibt der, was sie braucht. Entertainment und Nachdenklichkeit. Clever dabei, den eigentlich schurkischen Tybalt als Sympathieträger zu installieren, die nicht ohne Vermessenheit geplünderten Vorlagen also gegen den Strich zu bürsten. Da passen dann auch Gesangsnummern und ballernde Knarren an den Acheron.
All das offeriert sich als Spiel eines qualitativ homogenen Ensembles. Agiert wird konzentriert und nuanciert – und mit jener Note Selbstironie, die dem Sujet hübsch die Schwere austreibt. Wie die Kerle den Mädchen nachglotzen und die Mädchen die Kerle nicht verstehen, wie man kokettiert und schmollt und leidet – ja, auch der Schulhof passt manchmal an den Acheron.
Steffen Georgi

Quelle (Text + Foto): Leipziger Volkszeitung vom 21.03.2011

Nächste Aufführung „Tybalt“: Freitag, 25.03.2011, 20 Uhr, Theatrium (Alte Salzstraße 59)
Kartentelefon: 0341-9413640 und unter www.theatrium-leipzig.de