„Streben und Träumen: ‚Der Stich‘ im Theatrium“

Eine „Traumfabrik“ gibt es jetzt auch in Grünau. Klar, nicht unbedingt der Ort, wo man derlei vermutet oder überhaupt allzu schnell ins Träumen gerät. Profaner als Grünau geht’s eigentlich nicht. könnte man meinen. Nun hat allerdings das Theatrium seine aktuelle Spielzeit mit „Traumfabrik“ überschrieben. Und gleich die erste Produktion widmet sich nicht nur einem Stoff, von dem wohl jeder deutsche Theatermacher mal träumt, sondern bereitet diesen Stoff gleichsam als Traumstück auf. „Der Stich“ heißt die Inszenierung, die sich nichts Geringeres als Goethes „Faust“ zur Brust nimmt.
Ein Vorhaben, das ziemlich ehrgeizig ist, scheitern daran doch seit je selbst große Theatermacher immer wieder. Frage also an Projektleiter und Regisseur Georg Herberger: Warum gerade dieser Stoff, dieses Risiko? Die Antwort ist keine Überraschende: „Es ist eben das zentrale Stück in der deutschen Theaterliteratur – und irgendwann muss man das wirklich einfach mal machen.“
Herberger lacht. Natürlich gibt es auch pragmatischere Gründe. „Faust“ ist Schulstoff und somit bestens fürs Zielpublikum wie auch die beteiligten Akteure geeignet. Wobei der Blickwinkel der Inszenierung allerdings einer ist, der die Perspektiven herkömmlichen Deutschunterrichts mindestens erweitern, wenn nicht unterlaufen dürfte.
„Der Stich“ ist eine Faust-Strickerei, ist ein Stoff-Weiterspinnen hin zum Traummuster; die Inszenierung komprimiert die Vorlage zum szenischen Assoziationsreigen von wenig mehr als einer Stunde Spielzeit. Herberger: „Was wir in den Fokus genommen haben, ist der Traum- oder auch Sehnsuchtskern, der dem Stück innewohnt. Also diese Sehnsucht Fausts nach einer Form totaler Freiheit – die er sich ja nimmt, mit allen Folgen. Und natürlich ist da außerdem noch dieser Traum vom Augenblick, der verweilen soll, weil er so schön ist. Das ist ja auch ein Theatertraum, diese Wirkung zu erzielen, bei sich, den Darstellern, beim Publikum.“
Und weil darüber hinaus der Traum wie auch die Kunst an sich ein Refugium jedweder Freiheit ist, hat Herberger sich bei der Konzeption der Inszenierung auch Freiheiten genommen: „Ich habe alle Namen des Stücks verändert. Ich brauchte eine größtmögliche Unabhängigkeit, auch im Bezug auf Fremdtexte, die eingefügt wurden.“
Herberger, von Haus aus Schauspieler mit diversen Bühnen- und Filmerfahrung, inszeniert mit „Der Stich“ sein fünftes abendfüllendes Stück am Theatrium. Und spinnt mit Goethe konsequent ein Konzept der freien Adaptionen fort, das er in den vorangegangenen Produktionen auch schon bei Shakespeare, Ionescu oder Lorca anwandte. Insgesamt ist das so reizvoll wie ambitioniert.
Wie aber geht man so etwas mit Jugendlichen an? Gute Frage für Fabian Reichenbach, 19 Jahre und seit seinem zwölften Lebensjahr im Theatrium als Darsteller aktiv. „Der Stich“ ist seine dritte Arbeit mit Herberger: „Das ist so eine gute Mischung aus Autorität und Gleichheit, Autorität auf Augenhöhe“, sagt er, „am Anfang hat Georg immer erst mal eine sehr konkrete Vorstellung. Aber weil man sich zugleich selbst mit einbringen soll, weil das richtig erwartet wird, ist man bald so im Stoff, dass das Stück am Ende ganz anders aussieht als noch am Anfang gedacht.“
Klingt nach einer Produktion jenseits vorgestanzter Fertigteile. Und wie gelungen auch immer die letztlich sein wird – allein dafür lohnt sich der Weg in die Theatrium-Traumfabrik.


„Der Stich“, Jugendtheaterprojekt ab 14, Premiere am 11. März um 20 Uhr im Theatrium, weitere Vorstellungen am 12. März, am 18. März, jeweils 20 Uhr. Karten unter der Nummer 0341 9413640 oder per Mail an theatrium@gmx.de


Steffen Georgi

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 10.03.2016