„Sprachlos in Grünau“

Ungewöhnliches und unterhaltsames Pantomimenstück „Zerrissen“ im Theatrium – LVZ-Theaterkritik v. 20.04.2015

Die ehemalige deutsche Weltmeisterin im Luftgitarre-Spielen, Aline Westphal, hätte am Freitagabend bei der Premiere des Jugendtheaterstückes „Zerrissen“ nicht schlecht gestaunt: Vier junge Menschen betreten mit mehlweißen Gesichtern und schwarzer Kleidung die Bühne des ausverkauften Theatriums. Musik erklingt. Einer der Spieler lässt das unsichtbare Basstrommelfell seines Luft-Schlagzeugs vibrieren. Die anderen stimmen mit ein. Luftgitarre, Luftpiano und Luftsaxophon ertönen. Vom Bühnenhimmel fallen stakkatoartig Lichtkegel in mannigfaltigen Farben. Die Zuschauer grooven in ihren roten Sesseln mit.
Die Kunst der wortlosen Geste begeistert direkt und ohne Umschweife. Einzel-Perfomances, Tanzeinlagen und Gruppenszenen folgen. Die Collage entfaltet sich und kokettiert mit den unterschiedlichsten Facetten des Gebärden- und Mienenspiels, komödiantischer Slapstick inklusive. In einer kurzweiligen Szene sind zwei parallel angeordnete, bauchhohe Tücher über den gesamten hinteren Bühnenraum gespannt. Sofort erscheint vor dem geistigen Auge das Bild einer Rolltreppe, die in einer Großstadt irgendwo vor sich hin rattert. Die unterschiedlich gestikulierenden Spieler fahren hinauf und hinab und verkürzen dabei zur Bühnenmitte sukzessiv ihre Körperhöhen. Ein origineller und amüsanter Moment.
Aber auch bei ernsten Passagen überzeugen die insgesamt neun jungen Akteure mit Ausdrucksstärke und Körperpräsenz. In der Szene, in der fünf hilfsbedürftige, ältere Menschen auf Stühlen Platz nehmen und Häkeln oder Kartenspielen nachgehen, kristallisiert sich das Leitmotiv des Stückes besonders klar heraus. Die betreuende Pflegerin ist hin- und hergerissen zwischen Zeitdruck und Fürsorge, zwischen eigenem Anspruch und leistungsorientierter Wirklichkeit. „Zerrissen“ porträtiert die stillen Helden aus dem Alltag und nicht die Superhelden aus den Medien. In einigen abstrakt gehaltenen Szenen mit oder ohne Video-Installation verwässert sich jedoch das Helden-Motiv, das zugleich auch Spielmotto des Theatriums für die Jahre 2014 und 2015 ist. Der rote Faden wird nicht konsequent durchgezogen.
Unterhaltend sind die einzelnen Fragmente jedoch allemal. Projektleiterin Anne Buntemann, assistiert von Christin Stützer, beweist mit ihrer spielfreudigen Truppe einmal mehr, dass eine Geste mehr als 1000 Wort aussagen kann. Nach etwa 75 Minuten
ernten alle wohlverdienten, tosenden Beifall.

Anita Westrup


Nächste Vorstellung am Samstag, 25.04.2015 um 20 Uhr; Kartentelefon 0341 9413640.


Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 20.04.2015