„Schlaflos bis zur Traumerfüllung“

Die optischen und akustischen Eindrücke wecken leise Zweifel: Morgen soll das Gebäude in der Alten Salzstraße 59 als neue Spielstätte des Theatriums eröffnet werden – doch noch liegen Folien, Verpackungen, Rohmaterial und dezentes Chaos aus, rumoren Bohrer, Sägen und Hämmer. Ein Kraftakt bis zur letzten Minute steht den Beteiligten bevor, dann wird gefeiert – in einem immobilen Prachtstück für Theaterkunst, das 1,2 Millionen Euro gekostet hat.

Von Mark Daniel
Leipziger Volkszeitung vom 26.11.2010:

Zu gern möchte man der Dame, der man die neue Theatrium-Adresse anvertraut hat, an die Gurgel. „Ziel erreicht“ behauptet die weibliche Stimme im Navigator sicher und lakonisch. Nervensägende 20 Minuten später ist klar, dass die Gute um exakt 3,5 Kilometer daneben gelegen und in eine völlig falsche Grünauer Ecke geführt hat. Ein Erlebnis, dass man fatalerweise mit so manchen Lieferanten teilt. „Einige Pakete kommen hier nicht an und werden an den Absender zurückgeschickt“, berichtet Sandra von Holst.
Die künstlerische Leiterin steht mit einer dampfenden Tasse Kaffee und dezenter Erschöpfung in einem der grün gestrichenen Flure des Baus, umgeben von Werkzeug, Folien, Gerüsten, Eimern. Requisiten einer Inszenierung namens Bauarbeiten, Regie führt der Zeitdruck. Eine Katharsis ist festgeschrieben und wird auch nicht bezweifelt, man durchlebt gerade halt das unabdingbare Krisen-Stadium in einem Tohuwabohu, in dem man zumindest nicht durch das Internet abgelenkt werden kann. Es funktioniert nämlich noch nicht.
Doch schon der bloße Blick von der Traverse auf den schmucken Theatersaal mit seinen 80 roten Sitzen lässt von Holst und Beate Roch die momentanen Umstände vergessen. „Einfach fantastisch“, schwärmt die Geschäftsführerin und vermutet: „Wahrscheinlich sind wir damit das bestausgestattete Amateurtheater Deutschlands.“ Wobei die Gattungs-Bezeichnung eher die Schauspielarbeit mit den vielen Jugendlichen benennt; die Leitung des Theatriums ackert seit jeher auf professionellem Level.
Der Verein Großstadtkinder lebt durch diesen Mix aus Kompetenz, aus nicht versiegender Begeisterung, Eigenverschleiß und dem Wissen um die Bedeutung, der Kultur gerade in sozial problematischen Stadtgebieten wie Grünau zukommt. Regelmäßig landen hier auch solche Probleme der Heranwachsenden auf dem Tisch, für die sich im eigenen Zuhause niemand zuständig fühlt.
Die Ausnahmestellung haben auch die Verantwortlichen im Rathaus erkannt: „Dieser Verein ist ein Vorzeige-Beispiel“, betont Kulturamtsleiterin Susanne Kucharski-Huniat. Aus gutem Grund wurden die Großstadtkinder aus dem Bereich „Darstellende Kunst“ in das neu installierte Ressort „Kulturelle Bildung“ übertragen.
Der Weg von der maroden alten Theatrium-Spielstätte zur prächtigen neuen war ein langer: Schon vor Jahren wiesen die Kunstschaffenden auf den baufälligen Zustand des Flachbaus in der Miltitzer Allee hin, drängten auf eine Alternative. Die Stadt suchte, prüfte, verwarf, vertagte, schlug neu vor. Am Ende des Prozesses steht der Umbau der ehemaligen Post im Osten von Grünau, ergänzt um einen Anbau. Gesamtfläche 695 Quadratmeter, Kostenpunkt 1,2 Millionen Euro öffentlicher Mittel aus verschiedenen Töpfen, allein 200 000 davon für die Ausstattung. Fehlen wird es räumlich und einrichtungstechnisch an nichts mehr. Die Schauspieler bekommen endlich getrennte Garderoben, es gibt zwei Probenräume, Fundus und eine Werkstatt. Hier und dort stapeln sich momentan noch die Kartons, auf denen ein übergroßer Teddykopf thront. Nebenan wacht ein Stoffhund über Kisten und einen riesigen Schaumstoffwürfel.
„Wenn die wichtigsten Arbeiten überstanden sind, werden wir diesen Traum genießen können“, sagt Beate Roch und betont die fantastische Zusammenarbeit mit Architekt Tom Hobusch, „der mit großem Aufwand und viel Liebe unsere Vorstellungen berücksichtigt hat“.
Morgen, zur nicht-öffentlichen Einweihung des Hauses, wird der Baustellen-Charakter keinesfalls zu leugnen sein. Doch die Atmosphäre eines schicken neuen Theatertempels soll dominieren, wenn Oberbürgermeister Burkhard Jung um 17 Uhr offiziell den Saal einweiht. Eine Stunde zuvor bieten die Hausherren eine Führung an, und Nachwuchs-Mimen sorgen für ein kurzes „Vorspiel auf dem Theater“. Gegen 21 Uhr rockt die Band Das Wunderkind.
Der Spielbetrieb beginnt am 6. Dezember mit der an den Wochenenden weitgehend ausverkauften Wiederaufnahme des Weihnachtsmärchens „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“; die Generalprobe am Tag zuvor ist öffentlich, ab 13 Uhr steht das neue Theatrium zur Besichtigung offen. Auch dafür ist der Andrang bereits groß.
Heute und morgen gilt es. Noch einmal physisch Schulden machen, das längst überzogene Konto des Schlafminimums belasten. Beate Roch erinnert sich amüsiert an den Endspurt vor der Eröffnung des Ur-Theatriums 1996. „Da haben wir um drei Uhr nachts den Fußbodenbelag verlegt.“ Der immerhin ist im neuen Domizil schon fixiert. Heute endlich kommen die Möbel. Vorausgesetzt, der Fahrer findet die Salzstraße 59.
Mark Daniel

Quelle (Text + Foto): Leipziger Volkszeitung vom 26.11.2010


Ein Haus für die Bühne

Grünauer Theatrium lädt für morgen [27.11.] ins neue Domizil – Artikel der Kleinen Leipziger Volkszeitung vom 26.11.2010:

Das Grünauer Theatrium bringt junge Leute auf die Bretter, die die Welt bedeuten: Die Einrichtung hat in den vergangenen 15 Jahren mit zahlreichen ehrgeizigen Projekten auf sich aufmerksam gemacht. Und das trotz einer kaum mehr zumutbaren Spielstätte, die von außen den Charme einer Ruine hatte. Manch Unkundiger konnte sich angesichts des desolaten Gebäudes nur schwer vorstellen, dass hinter seinen Mauern anspruchsvolle Kinder- und Jugendarbeit geleistet wird.
Mit der angespannten Situation ist es jetzt vorbei: Morgen um 17 Uhr wird in der Alten Salzstraße 59 die neue Spielstätte eröffnet. Bereits ab 16 Uhr haben Besucher die Möglichkeit, bei einer „theatralen Hausführung“ mitzumachen. Um 17 Uhr wird Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung den Saal offiziell eröffnen.
Vor seiner Rede wird es ein kurzes „Vorspiel auf dem Theater“ geben. Dahinter steckt ein Schnupperprojekt, das vor zwei Monaten mit ganz neuen und noch jungen Mitspielern begonnen hat. Gedacht ist es für Kinder und Jugendliche, die noch nicht genau wissen, ob Theater etwas für sie ist. Die derzeitigen Teilnehmer haben sich mittlerweile entschieden, in die laufenden langfristigen Projekte einzusteigen.
Nach der offiziellen Eröffnung können sich die Besucher das neue Domizil ansehen oder etwas essen und trinken. Für 21 Uhr ist ein Konzert mit dem musikalischen Kabarett „Das Wunderkind“, ein Kind des Theatriums, geplant. Anschließend darf getanzt werden.
Bert Endruszeit

Quelle: Kleine Leipziger Volkszeitung vom 26.11.2010