„Nicht von dieser Welt“

Imponierend mutig: „Still wird das Echo sein“ im Theatrium – LVZ vom 07.07.2014:

Manchmal wirkt das scheinbar Alltägliche irritierend unwirklich. Etwa diese Teenager, die auf ihren Stühlen sitzen und plappern, wie eben Teenager so plappern. Im Klassenzimmer, kurz vorm Unterricht. Aufgeregt, genervt, gelangweilt. Jeder mit seinem Kram beschäftigt oder auch von Problemen geplagt.
Am Samstag gab es mit „Still wird das Echo sein“ (benannt nach einem Element-of-Crime-Song) die letzte Theatrium-Premiere dieser Saison. Und es kann nicht nur an der Musik Vivaldis liegen, mit der sich zu Beginn die Bühne mit den Darstellern füllt, dass der folgenden Schulzimmer-Szenerie in all ihrer Alltäglichkeit etwas Unwirkliches, vielleicht sogar Unerhörtes anhaftet.
Dieses „Unerhörte“ nun, oder besser die Ahnung davon, verdichtet sich spätestens dann zum Paradox einer vagen Gewissheit, wenn die Inszenierung Katja Fischers und Viola Kowskis die emotionale Großoffensive angeht. Per Videoeinspielung sind da Spielfilmsequenzen eines Schul-Amoklaufs zu sehen, auf der Tonspur erklingt Purcells in der Tat sterbensschönes „When I Am Laid in Earth“, und die Darsteller stehen plötzlich wie erstarrt, ganz woanders schon, den Rücken zum Publikum, zur Welt gekehrt.
Klar, das hat Wucht. Und birgt Gefahr. Die der Gefühls-Überdosis: Durchaus ließe sich auch der Vorwurf des Abgeschmackten um des Effektes willen machen. Und wer das so empfindet, empfindet nicht falsch. Aber läge – so viel Paradox muss noch sein – trotzdem nicht richtig. Denn zugleich zeigt diese Inszenierung einen imponierenden Mut. Und bringt in ihrer Kombination aus Alltäglichkeit und Überhöhung besagte „vage Gewissheit“ zum Schwingen: Die, dass die Figuren auf der Bühne keine mehr sind, die unserer Welt angehören, aber noch in den Gepflogenheiten und Verwerfungen unserer Welt verhaftet bleiben.
Plump betoniert wird gottlob nicht, dass hier Tote agieren könnten, die nicht wissen, dass sie tot sind. Es hat die reizvolle Balance eines Gedankenspiels, das freilich nicht neu ist. Von tibetanischen Totenkulten bis zum Mystiker Emanuel Swedenborg (1688-1772), der postulierte, die Gestorbenen würden erst nach und nach merken, dass sie gestorben seien, ließe sich da ein Exkurs spannen.
Und wer jetzt meint, derlei sei zu viel an Interpretation für Kinder- und Jugendtheater, hat nicht begriffen, wozu gerade Kinder- und Jugendtheater fähig sein kann. „Still wird das Echo sein“ macht da Angebote, die man nicht annehmen muss, aber auch nicht von vornherein ablehnen sollte.
Wie immer im Theater ist aber auch hier weniger das Konzipierte und Gedachte als vielmehr das Gespielte das Salz in der Suppe. Und was das angeht, kann sich diese Inszenierung voll auf die Darsteller verlassen. In der Gruppendynamik wie in den Monolog-und Dialogpassagen. Im tragischen, wie im (schwarz)humorigen Tonfall. Und selbst im dann doch etwas esoterisch daher blubbernden Finale mit Tanzeinlage bleibt das absolut glaubwürdig und einnehmend.


„Still wird das Echo sein“, wieder Freitag und Samstag, je 20 Uhr, Theatrium (Alte Salzstraße 59), ab 14 Jahren, Eintritt 7,50/4,50 Euro


Steffen Georgi

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 04.07.2014