„Nicht ins eigene Fleisch schneiden“

Oberbürgermeister fordert Korrekturen bei Nahverkehr / Auch Dresden und Chemnitz mahnen – Artikel der Leipziger Volkszeitung vom 09.12.2011:

Am Sonntag ist Fahrplanwechsel: Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) sowie die Städte Leipzig, Dresden und Chemnitz kritisieren, dass sich Zugverbindungen weiter verschlechtern. „Wir brauchen ein politisches Signal, dass Sachsen seinen Schienennahverkehr auf Dauer nicht ab-, sondern wieder aufbauen will“, heißt es in einem gemeinsamen Positionspapier.

Der Nahverkehrsraum Leipzig musste in diesem Jahr die meisten Einschnitte in Sachsen verkraften. So wurde die gut frequentierte S-Bahnlinie von Grünau zum Hauptbahnhof – bis zur Eröffnung des City-Tunnels 2013 – eingestellt. Aber auch Regionalzüge nach Eilenburg (teilweise bis Torgau) sind gestrichen. Dann folgte die Ausdünnung des Zugverkehrs von Grimma nach Döbeln vom Ein-Stunden- auf den Zwei-Stunden-Takt. Auch andere Nahverkehrsbereiche in Sachsen sind betroffen. „Es entstanden teilweise sinnlose Ausgaben. So müssen für die Züge, die wegen der Kürzungen gar nicht mehr fahren, für das gesamte Kalenderjahr Stationspreise gezahlt werden“, erläutert Matthias Reichmuth vom VCD-Arbeitskreis Finanzierung. Dieser Effekt mache für die in Leipzig weggefallene S-Bahnlinie etwa eine halbe Million Euro für den Zeitraum Mai bis Dezember 2011 aus.
Für das nächste Jahr plane der Freistaat Sachsen weitere Einschnitte in Höhe von fast 35 Millionen Euro – nach Kürzungen um 24,2 Millionen Euro Ende 2010. Folgen seien ein Investitionsstau auf der Schiene, eine drastische Verschlechterung des Fahrplanangebots sowie die Streichungen ganzer Linien. „Diese Abwärtsspirale, die hauptsächlich zu Lasten der Kommunen geht, muss gestoppt werden“, forderte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), der gestern ein gemeinsames Positionspapier mit dem VCD und den Städten Dresden sowie Chemnitz vorstellte. Darin werden eine sofortige Korrektur der Sparbeschlüsse sowie eine grundlegende Revision der Finanzierungsverordnung für den öffentlichen Nahverkehr angemahnt.
Bei dem eingesparten Geld handelt es sich um Bundesmittel – die der ­Freistaat für andere Verkehrsinfrastrukturprojekte, darunter laut VCD auch für den City-Tunnel, einsetzt. Also im Prinzip nicht zweckentfremdet. „Der Freistaat schneidet sich aber ins eigene Fleisch, wenn er dann ab 2014 noch weniger Geld vom Bund erhält“, argumentiert Rathauschef Jung. Dann wird neu entschieden, wie viele Regionalisierungsmittel die Länder für die Bereitstellung von Zugkilometern bekommen. Denn es sei wahrscheinlich, dass die 2012 bestellten Zugkilometer dann als Referenzgröße gelten. Kostensteigerungen deuten sich auch für Trassen- und Stationspreise an. Wenn weniger Züge unterwegs sind, müssen zwangsläufig die Fixkosten für den Unterhalt steigen. Und der Hauptbahnhof laufe Gefahr, der teuerste in Deutschland zu werden. „Mindestens die Summe, die die Zweckverbände zum Bestellen des Fahrplanangebots von 2010 und ihrer Investitionsplanungen benötigen, muss schnellstmöglich wieder bereit gestellt werden“, lautet die Forderung, damit das einst dichteste Eisenbahnnetz Deutschlands nicht weiter beschädigt wird. Vor Gericht ziehen wollen die Kommunen aber vorerst nicht, hieß es.
Mathias Orbeck

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 09.12.2011