„Leipziger Wohnungsgenossenschaften:Jetzige Stabilität nicht endlos belastbar“

Die in der Plattform ?wohnen bei uns? kooperierenden vier Leipziger Wohnungsgenossenschaften sehen ihre Eigentumsform vor einer Renaissance. ?Die jetzige Stabilität ist nicht endlos belastbar?, erklärt jedoch Martina Wilde, Vorstand der Leipziger Wohnungsgenossenschaft Unitas im L-IZ-Gespräch. Die Wohnungswirtschaft könne gesellschaftliche Aufgaben nicht allein stemmen, heißt es weiter.

Bei der Bestimmung von Systemrelevanz und der Suche nach Systemalternativen empfinden sich die Genossenschaften in Zeiten geplatzter Immobilienblasen und vielfältiger Rettungsschirme als moderner denn je. ?Wir sind als sehr, sehr robuste, liquide und starke Partner für die Banken wieder ein richtiges Thema?, sagt Martina Wilde.

Die WG Unitas ist eine von vier Wohnungsgenossenschaften der Plattform ?wohnen bei uns?. Dieses Netzwerk von Unitas, der Vereinigten Leipziger Wohnungsgenossenschaft VLW, der Baugenossenschaft Leipzig und der Wohnungsgenossenschaft Wogetra sieht sich in Leipzig mit zusammen 31.000 Wohnungen als ?größter unabhängiger Player am Markt?, formuliert VLW-Vorstand Michaela Kostov. Das sind etwa genauso viele, wie die kommunale Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft LWB aktuell im Bestand hat. Und im Wissen um diese gemeinsame Bedeutung wollen die Genossenschaften in der Plattform Verantwortung für viele Leipzigerinnen und Leipziger und eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung wahrnehmen und eigene Interessen einbringen.

Nun wächst Leipzigs Einwohnerzahl seit einigen Jahren kontinuierlich. ?Natürlich profitieren wir, wenn man es sehr global anschaut, davon?, schränkt Ralf Schädlich, Vorstandsmitglied der Baugenossenschaft, ein. Derzeit betrage der Leerstand durchschnittlich zwölf Prozent. Wenn das Bevölkerungswachstum in Leipzig anhält, werde man auch unmittelbar an der Entwicklung partizipieren.

?In den Stadtteilen, in denen die Bevölkerungsgewinne sind, haben wir weniger Bestände?, ergänzt Michaela Kostov. Deshalb müsse man beispielsweise in Grünau punktuell durchaus über ?Rückbau und Aufwertung? reden.

Gut die Hälfte der Mitglieder der Leipziger Plattformgenossenschaften ist nach Angaben der Plattform über 60 Jahre alt. Das bedeutet für die Genossenschaften zweierlei. Zum einen geht es um die Gestaltung des demografischen Wandels. Man setze auf Lösungen, die dem individuellen Bedarf an Unterstützung des Mitgliedes entsprechen, so Kostov.

?Der Trend geht dahin, dass die Menschen so lange wie möglich in ihrem eigenen, vertrauten Umfeld bleiben können?, erläutert die VLW-Frontfrau. Dazu haben die Genossenschaften ein eigenes Sozialmanagement aufgebaut, arbeiten in den Netzwerken in den Quartieren mit, kooperieren beispielsweise mit ambulanten Pflegediensten und erproben Varianten des ambient assisted living, das bei der VLW ?Leichter Leben? heißt. Als nächstes ist Frau Kostov sehr an einer Kooperation mit der Gesundheitswirtschaft gelegen.

Darüber hinaus wollen die Genossenschaften neue Zielgruppen ansprechen. ?Für die Eigentumsform Genossenschaft spricht, was schon immer für sie gesprochen hat: die Sicherheit und die Beständigkeit?, unterstreicht Ralf Schädlich. Insofern seien Genossenschaften die Idealform privaten Eigentums, weil hier Eigentümerverantwortung, Mitbestimmung und Gewinninteressen zusammenkämen.

In Zeiten wie diesen machen die Plattform-Exponenten so etwas wie eine Renaissance des Genossenschaftsgedankens aus. Nach Angaben von Schädlich sind 20 Millionen Menschen in Deutschland Mitglied einer Genossenschaft. Auch entstünden immer wieder neue dieser Organisationen. So sei die IG Feinkost im Leipziger Süden diesen Weg gegangen. Im ?Internationalen Jahr der Genossenschaft? 2012 wolle man auch hier in Leipzig auf die Stärken der Rechtsform hinweisen. Dazu sind die Plattform-Genossenschaften und die Volksbank Leipzig mit anderen Genossenschaften wie dem Konsum, aber auch Genossenschaften aus dem Bereich der Landwirtschaft und des Weinbaus im Gespräch.

Unlängst haben die Leipziger Wohnungsgenossenschaften mit einer Studie zur ?Sozialrendite? auf den gesellschaftlichen Zusatznutzen ihres Tuns verwiesen. Doch ob Bereitstellung von angemessenem und bezahlbarem Wohnraum, die Stärkung des sozialen Zusammenhalts in den Quartieren, demografischer Wandel und Klimaschutz – immer gilt für Michaela Kostov: ?Das wird die Wohnungswirtschaft nicht allein stemmen können.?

So groß die Freude über den Erfolg der Grünauer Quartiersbuslinie Grünolino auch ist, der zur Hälfte von örtlichen Unternehmen bezuschusst wird: ?Es kann nicht unsere Aufgabe sein, auf Dauer Nahverkehr zu finanzieren?, ergänzt Ralf Schädlich.

Hart geht die Wohnungswirtschaft mit der Bundespolitik ins Gericht. Würde der Bund jährlich auf den Neubau von 25 Kilometer Autobahn verzichten, seien die Kürzungen der letzten Jahre bei der Städtebauförderung, gerade bei Programmen wie ?Soziale Stadt?, nicht nötig gewesen, heißt es unisono in der Branche. Zwar stünde in 2012 mit 455 Millionen Euro nach vielen Bemühungen wieder genau so viel Geld zur Verfügung wie in diesem Jahr, doch das Niveau vor dem großen Schnitt wird nicht mehr erreicht.

Darauf werde die Wohnungswirtschaft bundesweit immer wieder hinweisen, erklären die Leipziger Genossenschaftler. Zudem wolle man eine ?transparentere Struktur der Förderung und klarere Schwerpunkte als bisher? einfordern, so Michaela Kostov.

Gernot Borriss

Quelle: Leipziger Internet Zeitung vom 08.12.2011