„Kürzungen durch die Hintertür“

Soziokultur und freie Szene verlieren zahlreiche Mitarbeiter, weil Arbeitsmarktprogramme auslaufen oder zusammengekürzt werden – Theatrium wendet sich mit Offenem Brief an die Stadtratsfraktionen
Artikel der Leipziger Volkszeitung vom 14.09.2011:


Ab 2012 könnte es mal wieder eng werden für die freie Kultur in Leipzig. So sehen es zumindest einige Akteure. Der Grund ist diesmal nicht die Haushalts-politik der Stadt sondern: die Arbeitsmarktpolitik.
Von Torben Ibs


Ende September wird aller Voraussicht nach die schwarz-gelbe Bundestagsmehrheit das Ende der sogenannten Arbeitsgelegenheiten (AGH) mit Entgeltvariante, also festem Gehalt, beschließen. Lediglich die AGH mit Mehraufwandentschädigung, besser bekannt als Ein-Euro-Jobs, sollen auf niedrigem Niveau erhalten bleiben. Ab dem 1. Januar 2012 kann das Jobcenter dann keine neuen Maßnahmen bewilligen, und die alten laufen aus.
Genauso ist es schon dem Programm Kommunal Kombi (KoKo) ergangen, das zum 31. Dezember ersatzlos eingestellt wird, oder dem Modellprojekt Bürgerarbeit. Das Besondere bei KoKo und Bürgerarbeit waren deren lange Laufzeiten. Im Gegensatz zur AGH, die ein Jahr läuft, konnten Arbeitslose hier drei Jahre lang beschäftigt werden.
Was hat das jetzt mit der Lage in Soziokultur und freier Szene zu tun? Viele Vereine nutzten diese arbeitsmarktpolitischen Instrumente, um Menschen in Projektarbeit zu bringen. In Leipzig finden rund 13 Prozent der aktuellen AGH im kulturellen Bereich statt. Allerdings fährt das Jobcenter Leipzig die Möglichkeiten massiv zurück. Waren letztes Jahr noch rund 7300 Menschen in AGH beschäftigt, sind es mittlerweile nur noch knapp 2600. Das Ende ist klar: AGH – egal in welchem Bereich – wird es bald kaum noch geben. Das trifft besonders die Arbeit von kleinen Vereinen und Einrichtungen, die darüber die Besetzung des Büros, das organisatorische Tagesgeschäft und die Abrechnung organisiert haben.
„Für viele Vereine im sozialen Bereich, die Aufgaben übernommen haben, für die im Grunde die Kommune zuständig wäre, wissen jetzt nicht, wie sie ihre Arbeit weiter machen werden können“, beklagt Barbara Höll, Bundestagsabgeordnete der Linken und engagiert beim Leipziger Tafel e.V.. Es betrifft also nicht nur die Kultur. Alle Vereine sind von den Änderungen betroffen. Auch soziokulturelle Zentren wie die Villa haben mit Hilfe der Menschen in AGH oder KoKo in den letzten Jahren ihr Angebot stabilisieren oder ausbauen können.
„Uns ging es die letzten Jahre mit Hilfe der KoKos und AGHs ziemlich gut“, sagt daher Oliver Reiner, Geschäftsführer der Villa. Für die Zukunft sieht es weniger rosig aus, da über diese Stellen vor allem einfache, organisatorische Arbeiten liefen, die nun anders organisiert werden müssen, was zu Lasten der inhaltlichen Arbeit geht. „Wir können ja schlecht sagen, das Haus ist nur an drei Tagen geöffnet. Aber ich kann von ausgebildeten Sozialpädagogen auch nicht erwarten, dass sie nur Räume aufschließen und Stühle durch die Gegend tragen.“
Auch beim Theatrium sorgt man sich um die Breite des Angebots. Das Grünauer Theaterhaus bietet in diesem Jahr sechs Projekte für Kinder und Jugendliche sowie drei Werkstätten an. Dabei weist der Stellenplan für die Einrichtung zehn Stellen aus – inklusive Leitung, Verwaltung und der Technik des neuen Hauses an der Alten Salzstraße, sechs davon auf KoKo- und AGH-Stellen. Nach dieser Spielzeit kann es daher sein, dass bis zu sechs Mitarbeiter das Haus verlassen müssen. Leiterin Beate Roch hat die Jugendlichen schon einmal auf die neue Situation eingestimmt: „Es kann sein, dass wir wie letztes Jahr wieder ins Rathaus ziehen müssen, um für uns zu demonstrieren – oder besser noch in den Bundestag“. Schon jetzt wendet sie sich mit einem Offenen Brief an die Stadtverordneten (siehe Kasten).
Die Stadt hat das Problem erkannt, aber noch keine Lösung parat. „Wir haben die Vereine angefragt, um uns mitzuteilen, wer wie betroffen ist, und werden dann zusammen nach Möglichkeiten suchen“, erklärt Kulturamtsleiterin Susanne Kucharski-Huniat. „Aber eines ist klar: Mehr Geld im Haushalt wird es nicht geben.“ Die Zeit drängt, da bis Ende September die Förderanträge im Kulturamt gestellt sein müssen.
Die freie Szene ist derweil uneins. Bei einigen erzeugt der Vorgang eher Kopfschütteln. Denn eigentlich sind die wegfallenden Stellen gar nicht für inhaltliche Kulturarbeit gedacht. Es sind Maßnahmen, um Arbeitslose für den ersten Arbeitsmarkt zu qualifizieren, die eher als Tropfen auf den heißen Stein gesehen werden. Vieles, was jetzt noch gefördert wird, muss danach irgendwie ehrenamtlich organisiert werden. Auf der anderen Seite zeigt sich aber auch, dass besonders im Jugendbereich die Mehrangebote, die dadurch entstehen, gut angenommen werden. So bietet das Theatrium in dieser Spielzeit zwei statt nur ein Kinderprojekt an, weil es so viele Anmeldungen gibt.
Oliver Reiner nennt AGH und KoKo „Krücken. Was wir bräuchten, wäre eine bedarfsgerechte Ausfinanzierung der Träger“, so der Villa-Chef. „Das wäre dann aber Aufgabe der Stadt.“
Was also tun? Die Linke fordert in einem Grundsatzpapier die Schaffung eines öffentlich geförderten zweiten Arbeitsmarktes. Dass der kommt, ist eher unwahrscheinlich. Die Betroffenen in der freien Szene schauen sich derweil nach Alternativen um. Möglich wäre, dass der neue Freiwilligendienst neue Menschen in die Träger bringt. Aber das wäre, wie Oliver Reiner feststellt, „nur eine neue Krücke“. Vielleicht aber streichen Vereine auch ihre Programme zusammen und bieten nur noch an, wofür sie bezahlt werden. Für eine Stadt, die Kulturstadt sein will, wahrscheinlich eine bittere Pille, aber rein rechnerisch in vielen Fällen das einzig Denkbare.

Theatrium wendet sich mit Offenem Brief an die Stadtratsfraktionen

Im Namen des Theatriums wendet sich dessen Chefin Beate Roch mit einem Offenen Brief an die Stadtratsfraktionen. Da heute durch Finanzbürgermeister Torsten Bonew der Haushalt der Stadt Leipzig für 2012 in den Stadtrat eingebracht werden soll und somit die haushaltspolitischen Diskussionen beginnen, will sie „erste Hintergrundinformationen geben“ über die Situation, die im Laufe des Jahres 2012 und vor allem ab 2013 die meisten Freien Träger der Jugendhilfe in Leipzig sowie zahlreiche andere freien Träger der Sozialen Arbeit, Kulturinitiativen und weitere Einrichtungen betreffen werde.
„Der derzeitige Stand der Diskussion in der Bundesregierung zum Gesetz der Abschaffung von AGH und ABM und das Auslaufen der Kommunal-Kombi-Maßnahmen sowie (wenn das Gesetz so beschlossen wird) keinerlei Einrichtung von neuen Maßnahmen des 2. Arbeitsmarktes wird dazu führen, dass das Theatrium ab August 2012 von derzeit 10 Beschäftigten nur noch 4 über kommunale Fördermittel und Eigenmittel bezahlen kann. Der gesamte Arbeitszeitbedarf des Theatrium wird seit Jahren zu über 60 Prozent von Honorarkräften, durch KoKo-Maßnahmen oder AGH und Ehrenamtliche Tätigkeit abgedeckt. (…) Der Wegfall von sechs Stellen würde unweigerlich zur Schließung des Hauses führen, wenn die nun bei der Stadt beantragten Stellen ab September 2012 nicht bewilligt und auch finanziert werden.“ Ebenso existenziell sei die Lage beim Geyserhaus, dem Werk II, der Villa, dem Halle5 e.V. oder dem Haus Steinstraße. Der Buchkinder e.V. mit derzeit 14 Mitarbeitern mit Über-30-Stunden-Woche werde Ende 2012 nur noch zwei Stellen haben.“
Roch erwartet von Stadträten, Dezernenten und Oberbürgermeister, „dass sie den tatsächlichen Bedarf der betroffenen Einrichtungen ermitteln und diese zur finanziellen Planungsgrundlage machen, um die notwendigen Mittel, die ein seriöses Haushalten der Träger garantieren und damit die Schließung der Einrichtungen verhindern würden, in den städtischen Haushalt einzustellen“.
Torben Ibs

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 14.09.2011