„Gesundes Aufwachsen ist Gesundheitsziel“

Die Kinder im Stadtteil sind zu dick – ein bundesweit einmaliges Projekt könnte das ändern

Kinder im Leipziger Stadtteil Grünau sollen gesünder, fitter, schlanker werden. Darauf zielt ein bundesweit einmaliges Projekt ab, das im Januar startet und auf fünf Jahre angelegt ist. Hintergrund: Grünau gehört zu den Leipziger Stadtteilen mit dem höchsten Anteil an fettleibigen Kindern; 12,8 Prozent sind bereits bei der Einschulungs-untersuchung adipös. In anderen Stadtteilen sind es nur 6 bis 6,5 Prozent.


HTWK-Rektorin Prof. Gesine Grande, Sozialbürgermeister Prof. Thomas Fabian und Uni-Kinderklinik-Chef Prof. Wieland Kieß (v.l.) bei der Vorstellung des Projektes. Foto: www.facebook.com/HTWKLeipzig


Neuer Ansatz dieses Projekts: Da die übliche Ernährungs- und Diätberatung nicht den gewünschten Erfolg bringt, soll nun das Lebensumfeld im Stadtteil so verändert werden, dass es mehr Anreize für Bewegung, sportliche Betätigung und gesündere Ernährung ausstrahlt. Nebeneffekt: Über die Kinder sollen auch deren Familien erreicht und in Trab gesetzt werden.
„Wir wollen diese Kinder nicht bei uns in der Klinik haben“, stellt Wieland Kiess, Direktor der Uni-Kinderklinik, den Präventionscharakter klar heraus. Es gehe auch nicht darum, in Grünau eine Gesundheits-Diktatur zu errichten: „Wir sind nicht die arroganten Professoren, die den Menschen etwas aufstülpen wollen“, so Kiess. Vielmehr setzen die Initiatoren auf den Lust- und Spaßfaktor.
Klar ist aber, dass etwas passieren muss: Die Volkskrankheiten Adipositas und Diabetes breiten sich in ganz Deutschland nahezu epidemieartig aus, verursachen schwerwiegende gesundheitliche Folgen und pro Jahr 48 Milliarden Euro Gesundheitsausgaben. Ganz offensichtlich stehen die Erkrankungen in Zusammenhang mit zu wenig Bewegung und falscher Ernährung.
Es dürfte ein Kampf gegen Windmühlen werden, „aber irgendwo müssen wir anfangen“, sagt die künftige Projektkoordinatorin Ruth Gausche von der Uni-Kinderklinik. Einige Ansätze: Die Supermärkte sollen überzeugt werden, Süßigkeiten aus der Kassenzone zu verbannen und preiswertes Obst und Gemüse anzubieten. Der Konsum sei bereits mit im Boot, aber vor allem auch die Discounter im Billigsegment sollen gewonnen werden. Kitas und Schulen sollen viel Bewegung in den Alltag einbauen. Die Wege zu Schulen oder Spielplätzen sollen mit Hindernissen zum Klettern und Hüpfen gespickt werden, damit die Kinder mehr Bewegungs-anreize erhalten. Die Essensanbieter sollen dafür gewonnen werden, gesünderes Essen zu kochen. Die Kommunikation im Stadtteil soll verbessert werden, damit sich überhaupt erst einmal herumspricht, welche Angebote zur sportlichen Freizeitgestaltung bereits vorhanden sind. Hausgemeinschaften sollen angeregt werden, sich zu gemeinsamen Freizeit-Aktivitäten wie Radtouren oder anderem zu treffen. „Die Wohnblocks haben ja durchaus große Wiesen“, konstatiert Gesine Grande, Rektorin der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK). Diese würden aber kaum genutzt. „Es gibt den Kulkwitzer See und Wald in der Nähe, aber viele Grünauer greifen nicht auf diese Angebote zurück.“
Im ersten Schritt soll daher der Stadtteil mit seinen Möglichkeiten und Ressourcen erst einmal analysiert werden. „Es werden viele kleine Schritte und Mosaiksteine, die insgesamt zum Erfolg führen“, glaubt Dirk Molis von der AOK, die das Projekt mitfinanziert. Ziel sei es, nach fünf Jahren einen deutlichen Rückgang der Zahl adipöser Kinder zu erreichen. Überprüft wird das von 300 niedergelassenen Kinderärzten in der gesamten Region, die das Gewicht der Kinder messen und Veränderungen dokumentieren.
Vier Akteure stehen hinter dem groß angelegten Gemeinschaftsprojekt: Uni-Kinderklinik, die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, die Stadt Leipzig mit mehreren Ämtern und die AOK. Andere Krankenkassen sind ebenfalls eingeladen, sich zu beteiligen. Die Grünauer Vermieter – LWB und Wohnungsgenossenschaften – sind schon angesprochen worden oder werden es noch.
Einen Namen hat das Projekt noch nicht – der soll im nächsten Grünauer Kultursommer mit den Bewohnern des Stadtteils gesucht werden. Aber viel Aufmerksamkeit hat es bereits jetzt: Deutschlandweit schauen Ärzte und andere Fachleute, die sich mit Adipositas und Diabetes befassen, was in Leipzig passiert. Die ersten Fachleute aus Stuttgart haben sich schon angemeldet. Passenderweise müssen sie zum Erfahrungsaustausch in die Stuttgarter Allee kommen, denn dort sitzt das Quartiersmanagement für Grünau.

Kerstin Decker


Hintergrund:
Der Freistaat Sachsen hat mehrere Gesundheitsziele für die Bevölkerung im Bundesland definiert. Eines dieser Ziele lautet „Gesund aufwachsen“. Hintergrund sind die Ergebnisse der Vorschuluntersuchungen durch die Kinder- und Jugendmedizinischen Dienste in den vergangenen Jahren. „Seit einigen Jahren unterstreichen die landesweiten Untersuchungsergebnisse die Notwendigkeit, Gesundheit und Wohlbefinden unserer Vorschulkinder stärker in den Mittelpunkt zu rücken“, teilt das sächsische Sozialministerium auf seiner Homepage mit. Die sächsische Landesvereinigung für Gesundheitsförderung kümmert sich deshalb um die Handlungsfelder Ernährung, Bewegung, Sprachförderung, Mundgesundheit, Impfschutz, Förderung der Lebenskompetenz und Erziehergesundheit. lvz


Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 04.12.2014

Lesen Sie dazu auch:
Neues Projekt zur Kindergesundheitsförderung in Grünau
Mitteilung der Stadt Leipzig vom 03.12.2014