„Gesichter und Geschichten“

Neue Ausstellung zeigt Bilder von Harald Kirschner in der Alten Post – Stadtleben-Artikel vom 21.09.2012:

Menschen bei der Arbeit, Straßenszenen, Hinterhöfe, bröckelnde Fassaden, Schlangen vor Geschäften, Gesichter: In eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen dokumentierte Harald Kirschner den Alltag im Osten unserer Stadt vor 31 Jahren. Jetzt ist die Ausstellung des Grünauer Fotografen in der Alten Post in der Selliner Straße zu sehen.
Die Bilder sind ein Zeitdokument über das Leben der Menschen und den Zustand des östlichen Stadtteils vor dem Ende der DDR. Heute sind die Fotos Geschichte. Wie sie entstanden? Vor 31 Jahren wurde von der Universität Leipzig eine soziologische Studie über die sozialen Verhältnisse und Lebensbedingen der Bewohner um die damalige Ernst-Thälmann- und heutige Eisenbahnstraße durchgeführt.
Mit ihren Kameras begleiteten Harald Kirschner ? damals Dozent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst ? und seine Studentin Christiane Eisler das Projekt. ?Es war ein Glücksfall?, weiß Kirschner. ?Denn fotografisch dokumentiert wurde das Leben in dem traditionellen Arbeiterviertel zuvor nicht ? ein Glücksfall seien die Aufnahmen auch aus einem weiteren Grund: ?Die beobachtende soziale Dokumentarfotografie gibt es so mittlerweile nicht mehr?, bedauert der Künstler. Urheberrechte erschweren sie, stelle man die Situation nach, ?ist sie weg?, gäbe es keine realistische mehr. Umso ehrlicher wirken die Fotos des Grünauers: Sie erzählen etwas von der Zeit, die vergangen ist und vom damaligen Lebensgefühl. Da liegt ihr bleibender, ihr künstlerischer Wert.
Zeigt sich der Verfall von Häusern auch in den Gesichtern der Menschen? Direkt blickt ein alter Mann die Betrachter an. ?Auch wenn er ärmlich wirkt, strahlt er Würde aus?, betont Kirschner. ?Man fragt sich, was steckt hinter seiner Geschichte? Was war früher?? Von Kraft, Trotz und auch Zufriedenheit berichten andere Porträts. ?Erstaunlich ? obwohl der bauliche Zustand der Häuser teilweise katastrophal war. Trotzdem fühlten sich die Leute wohl: Man kannte sich untereinander, es gab eine gute Nachbarschaft. Dennoch haben wir mit unseren Fotodokumenten einen Beitrag zur Veränderung geleistet.?
Parallelen sieht Kirschner zwischen dem östlichen und dem westlichen Leipziger Stadtteil: ?Beide sind auf dem Reißbrett entstanden. Es brauchte eine gewisse Zeit, damit sich Leben entwickelt. Miteinander verbunden sind sie auch durch Umzüge: Etliche ehemalige Ostler fanden in Grünau ihre neue Heimat.?
Harald Kirschner ist in Grünau kein Unbekannter, mehrfach hat er das Leben im Stadtteil mit der Kamera begleitet. Gespannt ist der Künstler daher auf die Reaktionen der Grünauer. ?Vor einem Jahr wurden die Aufnahmen aus dem Leipziger Osten im Pöge-Haus in der Hedwigstraße gezeigt. Damals meinte eine Frau, die Fotos erinnern sie eher an die sechziger Jahre. Nun frage ich euch: War es so? Oder war es nicht so? Urteilt selbst!?
Ingrid Hildebrandt

Quelle: Kleine Leipziger Volkszeitung (Stadtleben) Süd vom 21.09.2012


Die Ausstellung von Harald Kirschner ist noch bis 12. Oktober in der Alten Post, Selliner Straße, neben dem Komm-Haus zu sehen.


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