„Eine Stadt in der Stadt“

Grünau entwickelte sich praktisch aus dem Nichts / Zwei Einwohner erzählen, was sie dazu beigetragen haben – Artikel der Leipziger Volkszeitung vom 01.12.2009:

Die Entstehung Grünaus begann genau genommen Anfang der 70er Jahre mit einem Wettbewerb. Über fünf Monate konnten Stadtplaner und Architekten 1973 ihre Ideen für das Wohnungsbauvorhaben einreichen. Gewonnen hatte das Büro des Chefarchitekten Erfurt. Den Namen für den neuen Stadtteil gab eine in den 20er Jahren angelegte Gartensiedlung. Sie gehörte ursprünglich zu Kleinzschocher.
Im Jahr 1976 folgten auf die Worte dann Taten. Am 1. Juni wurde am Internat Gärtnerstraße 179 der Grundstein durch den damaligen Oberbürgermeister Karl-Heinz Müller gelegt. Ein Jahr später wurde die heutige Brünner Straße als erste Straße im Neubaugebiet übergeben. Im November des selben Jahres konnten auch schon die ersten Wohnungen bezogen werden. Ende 1977 wohnten bereits 1320 Bürger auf 908 Wohnungen verteilt im neu entstandenen Stadtteil, heute sind es mehr als 40 000 Menschen.
Einer, der Grünau noch aus den frühen Stunden kennt, ist Bernd Puckelwaldt. Der heute 62-Jährige erzählt immer wieder gern von seiner Arbeit in Grünau und wie er es lieben lernte. 1978 kam der studierte Finanzökonom von Berlin zurück nach Leipzig. Hier arbeitete er dann für den Haupauftraggeber (HAG) Komplexer Wohnungsbau. ?Meine Aufgabe war im Wesentlichen die Abnahme von öffentlichen Gebäuden, wie Kindergärten, Schulen oder Gaststätten?, berichtet Puckelwaldt. Zunächst war er auch noch im gesamten Bezirk Leipzig tätig, doch später fast nur noch in Grünau. Viele Leute warnten ihn davor und empfahlen, Grünau ? wenn möglich ? zu meiden. Doch er überhörte dies und war schnell von ?Schlammhausen? fasziniert. Dieser Name entstand, weil es nur wenige fertige Straßen gab und die Gegend an vielen Stellen einer Schlammwüste glich, wie viele Anwohner noch zu berichten wissen.
Puckelwaldts Begeisterung ist auch daran zu erkennen, dass er seit Anfang der 80er Jahre in Grünau wohnt. Auch der Arbeit ging er immer mit Leidenschaft nach und es gab eigentlich nichts, was ihn daran störte. Nur mit der DDR-Planwirtschaft hatte er seine Probleme. Denn das Ziel, möglichst viele Wohnungen zu bauen, forderte Opfer. So gab es letztlich weniger öffentliche Einrichtungen als geplant. ?Einmal haben wir eine Schule geöffnet, obwohl diese noch gar keinen Schulhof hatte?, sagt Puckelwaldt, ?so etwas hat mich damals schon sehr geärgert?. Doch all das hielt ihn nicht davon ab auch nach der Wende weiter für Grünau zu arbeiten und sich einzusetzen. So fing er nach dem Aus der HAG beim Amt für Stadtsanierung und Wohnungsbauförderung an. Er arbeitete in der Außenstelle Grünau und beteiligte sich an der Umgestaltung genauso ehrgeizig wie zuvor an der Entstehung.
Anders als Puckelwaldt war Gerhard Ohlhaber praktisch an der Entstehung Grünaus beteiligt. Denn er war einer der vielen Bauarbeiter, die die Neubaublöcke wie Gras aus der Erde sprießen ließen. Der heute 87-Jährige lebt schon seit 1984 in Grünau. ?Es ist ein tolles Gefühl, in einem Haus zu wohnen, das man selbst mit aufgebaut hat?, sagt er. Dabei umspielt ein Lächeln seine Lippen und ein wenig Stolz blitzt in seinen Augen. Denn er war am Bau eines Blocks im Wohnkomplex WK 2 beteiligt, in dem er seit 1990 mit seiner Frau Gisela wohnt.
Cindy Baumgart

Quelle (Text + Foto): Leipziger Volkszeitung vom 01.12.2009