„Die Platte boomt – doch um jeden Preis?“


Grünau hat es geschafft. Es ziehen wieder mehr Menschen in die Plattenbausiedlung am Rande Leipzigs. Darunter sind auch viele junge Familien und das belebt den Stadtteil. Doch nicht überall funktioniert das gleich gut. In Grünau-Mitte ballen sich die Probleme. Der Vor-wurf: Es gibt kein soziales Gleichgewicht in der Platte.
MDR.de/Sachsen – Beitrag vom 28.04.2017


In Grünau-Mitte hat sich die Zahl der Anwohner mit Migrationshintergrund innerhalb von zwei Jahren verdoppelt.


Es sah lange schlecht aus für Leipzig-Grünau. Die Bewohner zogen in die Innenstadt, der Stadtteil verwaiste und veraltete. Das Ergebnis waren leer stehende Plattenbauten. Viele von ihnen wurden abgerissen. Doch heute ist die Einwohnerentwicklung wieder positiv. Fast 43.000 Menschen leben mittlerweile in Grünau.

Das liegt auch daran, dass immer mehr Platten saniert und sogar neue, hochwertige Wohnkomplexe, wie die Kulkwitzer Seeterrassen entstehen. Das zieht Junge und Bessergebildete an. Eine ungemeine Bereicherung, sagt Uwe Kowski vom Quartiersmanagement Grünau. Das Ziel sei eine gute soziale Durchmischung, doch das klappe nicht überall, gerade in Grünau-Mitte kippe das soziale Gleichgewicht.

Sorgenkind Mitte

Das Herz von Grünau schlägt am Allee-Center. Hier schlendern die Menschen durch die Geschäfte, sitzen sie in Cafés. Von hier aus kann man die Wohnkomplexe an der Ringstraße sehen. Sie sind nur durch eine Fußgängerbrücke getrennt. Die Probleme von Grünau-Mitte sind vor allem die der Ringstraße. Die Elfgeschosser, teilweise bunt gestrichen, teilweise noch in DDR-Optik, gehören einem privaten Vermieter. Und der soll nicht auf das soziale Gleichgewicht achten, heißt es aus dem Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung in Leipzig. Karsten Gerkens, der Amtsleiter, wird sogar noch konkreter. „Wenn ich einfach jedem eine Wohnung gebe, dann muss ich mich nicht wundern, dass es dort zu Konflikten kommt.“ Doch dass die Platten einst in kommunaler Hand waren, gibt er nur kleinlaut zu. Damit ist der Einfluss auf die Vermietungspraxis verspielt.

Auch Antje und Uwe Kowski vom Quartiersmanagement Grünau beschäftigen sich schon seit über einem Jahr mit dem Problem. Altmieter würden wegziehen, weil der Anteil an Migranten einfach überdurchschnittlich hoch sei, erzählt Antje Kowski. Das soziale Gefälle würde sich total verschieben, hinzukämen Sprach- und Kulturbarrieren. Tatsächlich ist der Anteil an Bewohnern mit Migrationshintergrund in Grünau-Mitte am höchsten. Zwischen 2014 und 2016 hat sich die Zahl sogar verdoppelt, von 1.027 auf 2.282 Personen. „Eine so starke Steigerung in einem so kurzen Zeitraum ist eine sehr große Herausforderung“, sagt Antje Kowski. Hinzu kommt: Grünau-Mitte kämpft mit einer hohen Arbeitslosigkeit. 901 Erwerbslose zählte die Stadt 2015. Die höchste Rate für den gesamten Stadtteil, wenn auch rückläufig.

Grünau wird alleingelassen

Dass so viele Migranten und Arbeitslose in Grünau wohnen, ist der Tatsache geschuldet, dass billiger Wohnraum in Leipzig langsam knapp wird. Gerade Wohnungen nach den Vorgaben des Jobcenters, wie sie Hartz-IV-Empfänger und anerkannte Flüchtlinge erfüllen müssen, gibt es vorrangig nur in Grünau oder Paunsdorf, also am Rande der Stadt. Eine gerechte Verteilung auf ganz Leipzig könnte das Problem vor allem von Grünau-Mitte entschärfen. Doch dafür müssen Stadt und Land den sozialen Wohnungsbau wieder fördern. Andersfalls wird Grünau mit der großen Integrationsaufgabe alleingelassen.

Friederike Schicht

Quelle: MDR.de/Sachsen – Beitrag vom 28.04.2017