Besuch aus Wien am „Wohlfühlort“ – Teil 2

Ende September 2012 erreichte das QM eine Mail aus Wien. Inhalt: 3 Wiener/innen fragten an, ob die Möglichkeit bestünde, Grünau mit seiner Plattenbauten-Architektur in einer speziellen Führung kennen zu lernen. Ein Reisebüro sähe sich nicht in der Lage, derartiges zu organisieren, das Interesse daran seitens der Absender sei jedoch riesig …
Einen Monat später: 3 Wiener/innen – mitten in Grünau. Ein persönlicher Bericht über unterschätze Größe, architek-tonische Eindrücke und überraschende Nutzungsvielfalt …


Erich Lang und Autorin Jutta Angerler aus Wien mit Frau Kellner (Jugend- und Altenhilfeverein e.V.) und Frau Dr. Müller (Komm e.V.) [v.l.].

Jutta Angerler:
Wohlfühlort (Teil 2)

Architektonische Eindrücke

Sehr neugierig war ich natürlich auf die Plattenbauten an sich und darauf, in welcher Art und Weise diese renoviert wurden. Von den Blöcken, die wir von außen besichtigt hatten sahen wir ein breites Spektrum an Bauten vom Originalzustand bis hin zu solchen, die erst kürzlich renoviert wurden. Frau Dr. Müller konnte zu jedem Haus eine eigene Geschichte erzählen!
Natürlich war ich froh, noch Plattenbauten im unsanierten Originalzustand sehen zu können! Nur hier konnte man schließlich die ursprüngliche Gestaltung der Eingangsbereiche, die Farbe der einzelnen Fassadenelemente und die der (Dekor?)Fließen an den Platten und an den Balkonbrüstungen erkennen. Umso spannender war es zu sehen, wie damit im Zuge einer Sanierung umgegangen wurde.
Auch hier ein ambivalentes Bild: Mal erhielt die gesamte Außenfassade einen neuen Anstrich, konsequenterweise auch gleich die Fließen, einige Bauten bekamen ein „Attikageschoß“ und andere freuen sich nun über ein hübsches Ziegeldach, das die Balkone der obersten Etage krönt. … Na gut.
Aber auch sehr gut gelungene Sanierungsbeispiele waren zu sehen: Dann wurden Fließen auch weiterhin als Dekorelemente akzeptiert und bewusst nicht übermalt und auch einzelne Plattenelemente – in Anlehnung an die frühere Gestaltungsweise – andersfärbig gestrichen. Gleichzeitig wurden hier Balkone in behutsamer Weise an die Einraumwohnungen angebaut, andere Bauten erhielten wiederum praktische Wintergärten, beides jedenfalls Maßnahmen, die über reine „Außenkosmetik“ hinaus gehen und zu einer deutlichen Aufwertung der betreffenden Wohnungen beitragen.
Zum ersten Mal hatte ich auch die Möglichkeit, eine 4-Raum-Wohnung (mit ursprünglicher Raumaufteilung) von innen zu besichtigen. Obwohl ich doch schon einiges über Plattenbauten gelesen hatte war ich doch erstaunt zu sehen, dass Innentüren keine Türrahmen hatten und dass alle Leitungen nur ober Putz verlegt wurden.

Ganz besonders beeindruckt hat mich die Photoausstellung „Eiger Nordwand“ Grünau von Harald Kirschner, die glücklicherweise gerade zum Zeitpunkt meines Besuchs im Allee-Center zu sehen war. Obwohl größtenteils „ausgeräumte“ Räume zu sehen waren, waren diese keineswegs „leer“ und erzählten doch eine sehr individuelle Geschichte über die ehemaligen BewohnerInnen. Nüchtern und fernab jeglicher Ostalgie. – Ich hätte gerne mehr Zeit für diese faszinierende Ausstellung gehabt …

Schlagwort Nutzungsvielfalt

Zwar nicht gesehen, aber nachgelesen habe ich, dass die Wohnungsbau-Genossenschaft Kontakt e.G. „Gästewohnungen“ anbietet. Eine feine Sache, wenn man Besuch bekommt und seine Gäste nahe bei sich unterbringen kann und nicht in ein oftmals weit entferntes Hotel stecken muss!
Auf jeden Fall steigern sowohl Gästewohnungen als auch Gemeinschaftseinrichtungen wie Sauna, Kinderspielräume, Hobby/Partyräume, etc. im Allgemeinen nicht nur die Wohnzufriedenheit bei den BewohnerInnen, vielmehr tragen sie v.a. dazu bei, dass sich die MieterInnen verstärkt mit „ihrer“ Anlage identifizieren. Und wer sich mit seinem Wohnhaus identifiziert, achtet vermehrt auf dessen Aussehen und Zustand. Darüber hinaus fördern solche Einrichtungen natürlich das Miteinander.

Kann man einem Leerstand nicht auch einen positiven Aspekt abgewinnen, wenn vielleicht leerstehende Wohnungen in eher unattraktiven, unteren Geschoßen zu Gemeinschaftseinrichtungen umgebaut werden?

Sehr interessant fand ich natürlich auch den Kolonnadengarten. Ich denke, besonders für Bewohner-Innen, deren Wohnungen über keine bzw. nur kleine Freiflächen verfügen, ist das ein idealer Platz um in unmittelbarer Wohnungsnähe „draußen“ sein zu können. Man sieht, mit wieviel Liebe zum Detail dieser Garten gestaltet wurde! Als wir Ende Oktober 2012 hier war, war der Kolonnadengarten übersät mit bunten Blättern, eine herbstliche Idylle. Wie schön muss es hier im Frühling erst sein?

Aber auch die Mietergärten haben mir gefallen. Hier finde ich ebenfalls die Gehnähe von der Wohnung in den eigenen kleinen Garten sehr vorteilhaft. Praktisch, dass es hier einen Wasseranschluss gibt!
(Mit Grauen denke ich nämlich daran zurück, wie meine Mutter in Wien mit viel Idealismus eine kleine Ackerparzelle gepachtet hatte um etwas Gemüse für uns anzubauen. Die Pacht war sehr günstig, allerdings hatten wir kein Auto und mussten das Wasser mehrmals pro Woche mit einem Kanister per Fahrrad rund eine Stunde hintransportieren – das war „Urban Gardening“ anno 1984.)

Mein Fazit
Die Grünauer können stolz auf ihr schönes Grünau sein!
Die Nicht-Grünauer sollten es uns nachmachen und sich selbst ein Bild von Grünau machen. Vielleicht haben sie ja jetzt auch Lust dazu bekommen?

DANKE!
An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich bei allen Personen bedanken, ohne deren Engagement und Organisation wir Grünau nie so gut kennen gelernt hätten:
Frau Antje Kowski, Frau Benita Ruschitzky, Frau Dr. Evelin Müller, Frau Elke Göbel sowie Herrn Pfeiffer und Frau Kraft

Jutta Angerler


Lesen Sie dazu auch:
„Besuch aus Wien am „Wohlfühlort“ – Teil 1