„Anker im Sturm“

Sandra von Holns nahegehendes Jugendtheaterprojekt „19 Zimmer, Küche, Bad“ im Theatrium
LVZ-Artikel vom 08.04.2014

Der Weg eines Jugendlichen auf der Suche nach dem eigenständigen Ich ist einer, der weder eben noch geradlinig verläuft. Ob verwirrende Pubertät oder neue Anforderungen, die an den jungen Erwachsenen gestellt werden – die stetigen Veränderungen können immens belasten. Vor allem dann, wenn darüber vergessen wird, dass die Seele nach wie vor so fragil wie die eines Kindes ist. Was die zumeist ungeahnten Folgen dessen sein können, zeigt auf eindrückliche Weise das Stück „19 Zimmer, Küche, Bad“, das jetzt im ausverkauften Theatrium in Grünau Premiere gefeiert hat.
Das Jugendtheaterprojekt, das unter der Leitung von Sandra von Holn entstand, stellt episodisch das aufreibende Miteinander von 19 bereits in frühen Jahren vom Leben gezeichneten Jugendlichen in einer betreuten WG dar. Damit nimmt sich das Theatrium eines Themas an, das in Deutschland aktueller denn je ist. Immerhin: Im Jahr 2012 allein wohnten laut Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe 66711 Personen in Heimen oder ähnlichen betreuten Wohnformen.
Die an diesem Abend inszenierte Wohngemeinschaft könnte normaler zunächst kaum wirken. Zarte Freundschaften, fiese Lästereien, naive Liebe – der altbekannte Alltag für jedermann. Doch aus dem vielschichtigen Abbild der modernen Gesellschaft, für die die unterschiedlichen Charaktere ebenfalls stehen, wird immer mehr der erschreckende Einzelfall herausgearbeitet. Magersucht, Einsamkeit, Vertrauensverlust; der Probleme gibt es viele und jeder der Jugendlichen geht anders mit ihnen um. Von Holn bemüht sich offensichtlich darum, den unterschiedlichen Schicksalen genügend Raum zu geben. Jedoch scheitert dies an der Vielzahl sowie Fülle ebenjener und führt nicht selten zu einer recht plakativen Gestaltung dieser, die im Spiel viel zu starr einem längst überholten Kausalitätsprinzip folgen und dem Stück somit zuweilen die Dynamik rauben.
Das Auge für sowohl kunstvolle als auch bewegende Momente, in denen die Schauspieler ihr Talent zur Schau stellen können, wird dabei dennoch oftmals bewiesen. So ist es geradezu filmisch, wenn der drogensüchtige Alex (Dario Seltmann) verzweifelt versucht, sich seinen Weg freizulaufen und am Ende lediglich erschöpft auf der Stelle zu treten vermag. Besondere Anerkennung verdient zudem die Szene, in der die von ihrem Vater misshandelte Uschi, gespielt von Natalie Tepper, aus der Ordnung des Heims in das Chaos ihrer zerrütteten Familie entrissen werden soll. Ihrem Nein folgen erneute Schläge des Vaters. Das Perfide an der für die Gäste nicht minder beklemmenden Situation: Für das Auge nicht sichtbar wird all das im Foyer gespielt, einzig die hysterischen Stimmen dringen an das Ohr des Zuschauers und weisen einmal mehr darauf hin, dass insbesondere hinter geschlossenen Türen Gewalt ihren Höhepunkt erreicht.
Davon lebt das Stück obgleich seiner kleineren Defizite letztlich zu einem großen Teil: den engagierten Darstellern, die sich trotz grüner Laien-Ohren nicht davor scheuen, auf der Bühne ungeahnte Sphären von Intimität zu kreieren, deren Verletzlichkeit ihnen gleichermaßen nahegeht wie dem aufmerksamen Besucher.
„19 Zimmer, Küche, Bad“ mag nicht unbedingt in sich gänzlich stimmig ausgearbeitet sein, weiß aber dessen ungeachtet aufzurütteln. Gerade weil das Leben zuweilen gern in Chaos ausartet und ziemlich überfordern kann. Da wird aus einem Stück wie diesem schnell ein Anker im Sturm; vor allem wenn über alldem die entlastende Erkenntnis schwebt: Keine Sorge, deine Probleme sind ebenso meine.

Anne-Sophie Kretschmer

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 08.04.2014


Karten zu 7,50 / 4,50 EUR im Theatrium, Alte Salzstraße 59, Tel. 0341/9413640.
Weitere Infos unter www.theatrium-leipzig.de