1000 Jahre Leipzig: „Leipzig lässt die Löwen los“


Die Stars des StadtFestSpiels „1000 Jahre Leipzig“: Fünf auf Gabelstapler montierte Löwen-Skulpturen. Eine jede steht für einen stadtprägenden Aspekt. 90 Mitarbeiter vom Theater Titanick bemühen sich gerade um ihre Vollendung. Umgarnt von Künstlern, sollen sie am 30. Mai gen City zu „Lipsia“ rollen.
(Leipziger Volkszeitung vom 22.05.2015)


Löwe „Kunst & Kultur“

Vom kleinen Marktplatz an der Stuttgarter Allee in Grünau soll dieser Bursche (siehe Foto) gen City marschieren, wenngleich es da ab Mittag beim Bürgerpicknick recht launig zu werden scheint. Jener Löwenschädel ist auch recht originell: Die Hälfte davon nimmt die Silhouette von Bachs Profil ein, die andere birgt eine Musikmaschine aus zwölf Orgelpfeifen. Luftdruckbetrieben.
Um den Riesenkerl tanzen dann gleich drei Live-Musiker; bedienen über lange Hebel die erfundene Musikbox. „In Toncollagen verweben sie Zitate aus Kompositionen von Bach“, heißt es in der Erklärung dazu. Eine Schauspielerin mimt Tänzerin beziehungsweise Sängerin, die auch fortwährend um die Skulptur herumwirbelt – rezitierend, tanzend, singend. Sie vertritt die Poesie, das Sanfte und Leichte, während die Musik-Arbeiter mit ihrer Luftdruckorgel dann das ganze Gegenteil vermitteln sollen. Sie vermischen Ton- und Soundcollagen mit Ansätzen von Melodien. In dem Wettstreit hat es die Muse sicherlich nicht leicht, sich gegen das Laute zu behaupten. „Und dennoch erzeugt sie gerade durch ihre Fragilität die Aufmerksamkeit“, heißt es hierzu seitens der Löwenschöpfer vom Theater Titanick. Das Druckorgel-Konzert wird jedenfalls auf dem Weg gen Innenstadt mehrfach zu erleben sein.


Die anderen Löwen:

Löwe „Sport & Umwelt“

Vom Clara-Zetkin-Park soll er loslaufen. In Regie des Stadtsportbundes laden Leipziger Sportvereine dort ab Mittag zum Familiensportfest ein; der Ökolöwe stellt das Projekt „Kletterfix – grüne Wände für Leipzig“ vor, das graue Fassaden schöner und die hiesige Luft sauberer machen soll. Dem Löwen ist seine Mission leicht ablesbar: Der Kopf ist nämlich ein orange-roter Ball, als Haar gibt’s obenauf echtes Gras. Die Stirn – mit integriertem Wassersprungturm. Ein Mini-Schrebergarten zu Füßen.
Ein inszenierender Künstlertrupp um ihn herum wird eine Show abziehen, die auf die erfolgreiche Welt des Sports und die Ruhe der Natur abzielt. Demnach soll ein Turmspringer oben auf dem Sprungbrett erscheinen, total überzeugt, den Sprung seines Lebens vorzuführen. Unterdessen wuselt unten ein Gärtner um seine Pflänzchen, braucht dafür freilich dringend Wasser – sonst geht ja alles wieder ein. Bloß: Alles Nass hat dann oben schon der Turmspringer verschwendet. Also sind sich beide dann nicht mehr grün. Ihr Zusammenleben gestaltet sich fortan konfliktreich und scheint dem Untergang geweiht. Doch an der Stelle werden die den Löwen umschwirrenden Künstler dann laut Theater Titanick darstellerisch „die Welt der Träume“ ins Spiel bringen. Na, mal sehen!

Löwe „Buch & Medien“

Dieser Leu trabt vom Heinrich-Schütz-Platz, auf dem ab 10 Uhr ein großes Lesefest stattfindet, los. Seinen Kopf ziert ein überdimensionaler Kopfhörer, das Gesicht eine riesige Linse. In der Kopffläche und in der Linse sind Monitore eingebaut, über die Bilder der Stadtgeschichte flimmern. Auf der Löwenrübe wird ein Schauspieler – à la „rasender Reporter“ – das Geschehen kommentieren, während ein Kollege als lebende Kamera unterwegs Fernsehbilder „produziert“. Ein Bücherwurm (muss noch dran) soll sich auch ums Getier winden.
Allesamt haben den Job, Leipzigs Mediengeschichte vom Mittelalter bis zur Neuzeit aufzuzeigen. Spielerisch auch um den Löwen dargestellt am Beispiel der letzten öffentlichen Hinrichtung 1824, wo der arme Woyzeck auf dem Markt seinen Kopf ließ. In Anlehnung an die weltweit erste Tageszeitung, die in Leipzig von Timotheus Ritzsch 1650 gedruckt wurde, wird dabei eine lange Zeitungsbahn aus der Skulptur gezogen, die quasi als Extrablatt berichtet: „Neue Wendungen im Fall Woyzeck!“ Irgendwann wird dann auch noch eine Radioantenne aus dem Löwenkopf sprießen – symbolisch, für die Gründung der Mitteldeutschen Rundfunk AG 1924 in Leipzig. (Übrigens: Gegen 17.30 Uhr stoppt der Leu vor der LVZ!)

Löwe „Wissenschaft & Bildung“

Dieser nimmt ab Mariannenpark Witterung auf, wo die Bürgervereine Nord-Ost und Schönefeld ab Mittag eine Großfete feiern. Die Skulptur ist hochkomplex! Inspiriert von der Science Fiction Figur eines Transformers. „Der obere Teil des Kopfes ist nach hinten verschiebbar und lässt dadurch das ,Gehirn‘ sichtbar werden, das sich zu einem wissenschaftlichen Labor wandelt“, erklären die Titanick-Leute. Auf der Figur soll dann Professor Licht sitzen, ein Wissenschaftler. Er lädt symbolisch zur Vorlesung über Leipzigs Wissenschaftsgeschichte ein. Unterstützt von Assistenten Albert und Laborratte Einstein. Leibniz‘ bahnbrechende Entwicklung des binären Systems als Basis unserer digitalen Welt sollen thematisiert werden, auch Heisenbergs Unschärferelation und Ostwalds Katalyse-Forschung. Aber wie das so ist, gerade wenn man’s dann mal praktisch vorführen will, geht’s daneben!
Diese Löwentour begleiten freiwillige Darsteller. Wird sicher lustig: Die vermessen, prüfen und analysieren letztlich nämlich alles, was sie finden können – auch das Publikum am Wegesrand! All ihre gesammelten Infos gehen dann quasi an ein imaginäres wissenschaftliches Labor, da kommt’s aber zum Infostau, zur Papierexplosion Wie sich das wohl auflöst?

Löwe „Wirtschaft & Handel“

Sein Startplatz ist die Parkbühne GeyserHaus im Eutritzscher Arthur-Bretschneider Park, wo ab Mittag ein trubliges Bürgerfest steppt. Unschwer zu erkennen: Das Messemännchen stand für jene Großkatze Pate. Der Kopf – eine Weltkugel. Modifiziert allerdings mit einem Helm und den Flügeln von Hermes, dem Schutzpatron der Händler und Kuriere. Zahnräder an der Figur stehen für das „Getriebe“ des Handelsplatzes Leipzig und die Maschinen-Industrie.
Auch der Tatzen-Kerl geht nicht ohne Inszenierung rund um seine Person in die Spur: Hierbei werde angelehnt an Otto den Reichen, „der als Visionär und Geldgeber einen Wirtschafts- und Handelszyklus in Gang setzt“, wie es heißt. „Er speist eine Art Spielautomat mit Geld und die ganze Skulptur erwacht zum Leben“. Das Theater Titanick will dazu Mechanikgeräusche los-, die Löwenaugen wild rotieren und aus dem Inneren Arbeiter auftauchen lassen. Und dann zeigen, wie Otto diesen seinen Wirtschaftsapparat steuert und überwacht. Man ist gespannt, wie die Begleit-Künstler das hinkriegen: Sie sollen vermitteln, wie der Betrieb immer effizienter wird, immer schneller, besser, größer. Wie immer mehr Energie, Geld und Arbeiter hineingepumpt werden und Otto trotzdem nicht den Hals voll genug kriegt – und ein Crash droht !


Ur-Löwin Lipsia „Bürgerschaft & Werte“

Für die Urlöwin, die am Festumzugstag auch nicht nur eine Pranke heben und durch die Stadt streunen braucht, weil sie von Anfang an auf dem Augustusplatz thront, wurde das Antlitz der Lipsia gekupfert, von der Schutzpatronin der Stadt sozusagen. Wer mal vorm Neuen Rathaus verweilt, kann Lipsias Büste überm Eingang entdecken. Den Titanick-Künstlern bot sie die Steilvorlage für ihre Löwenmutter, die nun für die Werte der Stadt stehen soll. Insbesondere für eine starke Bürgerschaft, die seit Jahrhunderten Leipzig prägt.
Die Löwenmutter wird auf dem Platz vor der Oper auf ihre „entlaufenen“ Löwen warten. Mit zwölf Metern Höhe gut doppelt so groß wie letztere. Gegen 21.30 Uhr soll das Rudel zum Finale eintrudeln und um die Gunst des Publikums buhlen. Bis Lipsia brüllt und alle Aufmerksamkeit ihr gebührt. Aus ihrem Bauch schlüpft dann ein Mädchen, deren Rufe greifen Sänger auf, formen die „Ode an die Freude“
Ein fix und fertig gestaltetes künstlerisches Teil dürfe man bei dieser Skulptur aber nicht erwarten, warnt Irina Hoffmann vom Theater Titanick vor. Lipsia sei eher ganz bewusst als Dauerbaustelle angelegt – wie die Geschichte unserer Stadt halt, an der seit Ewigkeiten gearbeitet und in Zukunft weitergebaut werden wird!

Angelika Raulien

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 22.05.2015


Weitere Infos:

Route des Löwen „Kunst & Kultur“ (Grünau – Innenstadt)
Programm und Stationen

StadtFestSpiel „Lipsias Löwen“
Überblick zur Sternfahrt

Leipzig 2015 – 1.000 Jahre Ersterwähnung
Übersicht zu Festlichkeiten und Höhepunkten