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Schulweg per Rad bereitet Eltern die meisten Sorgen

Beim Familienkompass haben mehr als 1500 Leipziger die Verkehrssituation in der Stadt bewertet. Das Ergebnis: Lausen-Grünau kommt dabei am besten weg. (LVZ vom 13.10.2020)

Bei der Demo „Kidical Mass“ forderte der ADFC zuletzt ein Verkehrsnetz, in dem sich auch Kinder sicher bewegen können. Foto: Thomas Puschmann

Radfahren ist in Leipzig vielerorts gefährlich – und umso mehr für Kinder. Zum einen ist die Wahrnehmung der Umwelt bei ihnen noch nicht voll entwickelt, zum anderen können die Knirpse Verkehrssituationen schwerer überblicken. „Besonders in den Altbauvierteln ist es kritisch“ sagt Rosalie Kreuijer. Sie ist Vorstandsvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) Leipzig. Seit Jahren setzt sie sich für die Verbesserung des Fahrradnetzes ein, denn „ich bin unzufrieden mit Leipzig“, erklärt sie.

Damit ist sie nicht allein. Im Familienkompass Sachsen 2020 wurde unter anderem die Zufriedenheit von Familien mit der Verkehrssituation abgefragt. Auch 1539 Leipziger und Leipzigerinnen, die Kinder im Haushalt haben, nahmen an der Umfrage teil. Sie vergaben für die Verkehrssituation auf der Skala von 1 bis 5 die Durchschnittsnote 3,4. Damit belegt die Messestadt einen der schlechtesten Plätze im sachsenweiten Ranking. Besonders negativ bewerteten die Eltern das Zentrum; die besten Noten erhielt der Bezirk West, darunter vor allem Grünau. Doch eines fällt besonders auf: Durch die Bank wird die Sicherheit der Schulwege mit dem Rad am schlechtesten eingeschätzt. In acht der zehn Leipziger Bezirke vergeben die Familien die Note 4.

Kreuijer vom ADFC findet das nur logisch, denn die Altbauviertel wurden vor allem im 19. Jahrhundert erbaut und seien nicht für den Autoverkehr gemacht. Sie ist selbst Mutter zweier Teenager und kennt die Sorgen Leipziger Eltern, die ihre Kinder mit dem Rad zur Schule schicken. Aus dem Effeff kann sie ein Dutzend kritischer Straßen in Schulnähe aufzählen, die auch laut Familienkompass in schlecht bewerteten Vierteln liegen.

Dazu gehören etwa die Rödelstraße, die Harkortstraße oder die Kurt-Eisner-Straße. Auch die Zschochersche Straße nennt sie. Über diese führt seit Jahren der Schulweg ihrer inzwischen 13-jährigen Tochter und ihres 15 Jahre alten Sohnes. Auf der viel befahrenen Straße gibt es noch keine Radwege, löchriger Asphalt und Straßenbahngleise sind schon für aufnahmefähigere Erwachsene eine Herausforderung. Mit gemischten Gefühlen schicken Eltern bei solchen Bedingungen ihre Sprösslinge zur Schule.

Doch noch schlimmer sei die Lage auf der Georg-Schwarz-Straße, in deren Umfeld sich gleich drei Schulen befinden: die Oberschule „Schule Georg-Schwarz-Straße“, die Grundschule „Am Leutzscher Hof“ und das Gymnasium „Schule in der Karl-Heine-Straße“. „Da wird es eng zwischen Parkbuchten, Autoverkehr und Straßenbahnschienen“, so Kreuijer. Die Straße ist definitiv nicht für den Radverkehr geeignet, und ist an vielen Stellen so schmal, dass die Schüler mit dem Rad weniger als einen Meter Platz zwischen parkenden Autos und den Gleisen haben.

Trotz des wenigen Platzes ist ausgerechnet diese Straße eine der Hauptverkehrsadern im Westen Leipzigs. Um auf die mangelnde Sicherheit der Radwege hinzuweisen, organisierte ADFC-Frau Kreuijer Ende September eine Fahrrad-Demo für Kinder unter dem Titel „Kidical Mass“. Diese führte unter anderem über den Innenstadtring.

Auf die Anfrage, welche Radwege als nächstes ausgebaut würden, wurde die Stadt leider nicht so ganz konkret. „Für eine bauliche Realisierung werden in Leipzig für die nächsten Jahre“ einige Straßen „vorbereitet“, sagt Sprecher David Quosdorf nur. Genannt werden etwa die Zweinaundorfer Straße, die Riesaer Straße und die Zwickauer Straße.

Neben den Radwegen wurde in der Umfrage die Verkehrsbelastung und der Lärm im Zentrum West rund um das Musikerviertel am schlechtesten bewertet. Die Großbaustelle an der Plagwitzer Brücke führte täglich zu Stau, etwa auf der Marschnerstraße, und zu stärkerem Verkehrsaufkommen auf den umliegenden Straßen, wie auch der Stadtsprecher Quosdorf bestätigt. Doch inzwischen sind die Baumaßnahmen abgeschlossen.

Ganz anders gestaltet sich die Situation in Grünau. Es hat eben doch Vorteile, ein ganzes Viertel „auf dem Reißbrett“ zu planen, weiß Antje Kowski. „Die gut ausgebaute Infrastruktur, die vielen Fahrradwege und die Grünflächen sind die Vorteile von Grünau“, erklärt die Quartiersmanagerin. Die „vielen Sackgassen“ wirkten außerdem verkehrsberuhigend, Spielplätze für Kinder befinden sich oft in der Nähe des Wohnblocks. Kowski ist seit einigen Jahren im Plattenviertel tätig. Sie freut sich über die positive Bewertung, denn der Stadtteil sei um einiges besser als sein Ruf.

Damit die Grünauer Familien weiterhin so zufrieden mit der Verkehrssituation bleiben, gehen Kowski und ihr Team aktiv Probleme an. Zwischen ihr und den Bewohnern gebe es einen ständigen Austausch. Daraus resultierte zum Beispiel 2010 der Quartiersbus „Grünolino“, der seitdem das Viertel besser vernetzt.


Details zur Umfrage:

Die Familien gaben beim Familienkompassnoten für die Verkehrsbelastung, Verkehrslärm, Sicherheit derSchulwege per Rad und Sicherheit der Kinder im Wohnumfeld.

Am schlechtesten insgesamt schneidet Leipzig-Mitte ab (3,96), gefolgt von Nordwest. Die besten Ergebnisse erzielte mit abstand der Westen – dort steht bei allen vier Kategorien die Note 2 vor dem Komma. in Böhlitz-Ehrenberg können sich laut der Umfrage die Kinder am freiesten bewegen (Note 2,72). Lindenau – auch im Bezirk Altwest, nur näher am Zentrum – fährt das schlechteste Ergebnis in derselben Kategorie ein (Note 3,94). im benachbarten Viertel Plagwitz gibt es laut dem Familienkompass die stärkste Lärmbelastung (Note 4,05).

Von den 146 ausgewerteten Kommunen Sachsens erreicht Leipzig in der Verkehrsumfrage das fünftschlechteste Ergebnis.


Pauline Szyltowski

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 13.10.2020