Infotag trotz Corona: Wie die Berufsakademie ihre Türen öffnet, ohne den Eingang aufzusperren
(LVZ vom 16.11.2020)
Wie funktioniert ein Tag der offenen Tür, wenn der Eingang wegen der Corona-Pandemie versperrt bleiben muss? Die Staatliche Studienakademie Leipzig hat am Samstag stattdessen die virtuellen Pforten zu vier Chat-Räumen aufgeschlossen – und den Studien-Interessierten eben auf diese Weise den Weg in Seminarzimmer, Prof-Büros und Labore geebnet.
In der Werkstatt für Schwingungsdiagnostik des Studiengangs „Service Engineering“ nimmt die Kamera eine Drehstromasynchronmaschine in den Fokus. Wer trotz des Wortungetüms nicht aufs rote Kreuz in der rechten Bildschirmecke drückt, auf die digitale Klinke nach draußen, der will wohl wirklich Ingenieur werden. Matthias Bach ist es bereits. Der Fachmann erklärt und beschwichtigt: „Sieht ganz schön kompliziert aus“, gibt er zu, aber die Technik sei erst Stoff eines höheren Semesters. „Bis dahin vermitteln wir die Grundlagen, um das zu verstehen.“
Die Info-Veranstaltung ist in erster Linie für Zwölftklässler gedacht, die 2021 ihr Abitur machen und danach für drei Jahre dual studieren wollen: drei Monate pro Semester lernen sie die Theorie an der Studienakademie, der Leipziger Niederlassung der Berufsakademie Sachsen und drei Monate sammeln sie in einem Unternehmen praktische Erfahrung. Dort sind sie angestellt – mit Anwesenheitspflicht und Gehalt, ohne Semesterferien, aber dafür Urlaubsanspruch.
„Ist der Unterricht dann nicht viel straffer als an der Uni?“, will ein Schüler wissen. Er hat sich in den Chat-Raum von Dana Kopczak eingeloggt. Die 20-Jährige studiert bereits im fünften Semester und beruhigt ihn: Es sei schon was dran, wenn das Kürzel „BA“ für Berufsakademie scherzhaft mit „bis abends“ aufgelöst werde. Aber dafür sei der Anteil des Selbststudiums geringer als an der Uni. „Den Dozenten ist sehr wichtig, den Inhalt so verständlich rüberzubringen, dass zu Hause hauptsächlich Übungen zur Wiederholung notwendig sind.“
Im nächsten Chat-Raum bestätigt Informatik-Professor Ingolf Brunner das einerseits – und sieht darin andererseits inmitten einer Pandemie ein Problem: „Wenn wir Vorlesungen nur per Stream übertragen, verschlechtern sich die Noten. Das hat sich im Sommersemester gezeigt.“ Gute Erfahrungen habe man aber damit gemacht, einen Kurs in zwei Gruppen zu teilen, fügt Prof-Kollege Hendrik Siegmund an. „Die eine Hälfte vor Ort, die andere Hälfte am Computer. In der Woche drauf wird getauscht.“ So könne jeder Fragen im persönlichen Kontakt loswerden. Die Lerninhalte blieben besser im Gedächtnis haften.
Professorin Kerry Brauer, Direktorin der Studienakademie, ist froh darüber, dass es zuletzt trotz Corona gelungen sei, rund 140 Absolventen pünktlich zum Studienabschluss zu führen. „Sie haben sich reingekniet – Hut ab!“ Zwischen Mitte März und Anfang Mai gab es für die 4500 Studierenden an allen sieben Standorten der Berufsakademie Sachsen keinen Vor-Ort-Unterricht, auch nicht für die 620 in Leipzig. Die Präsenzlehre ist weiterhin eingeschränkt, doch die Nachfrage nach Studienplätzen leidet nicht unter der Pandemie.
„Dennoch gibt es eine technische Hemmschwelle“, sagt Claudia Siegert, Professorin in Steuerberatung/Wirtschaftsprüfung. Die Scheu davor, das eigene Mikro aufzudrehen und erst recht die Kamera einzuschalten, führt auch im vierten Chat-Raum zu weniger Fragen, als sie es von den herkömmlichen Informationstagen gewohnt sind. Um Studienangebote in Vermögensmanagement geht es hier. „Ist das sehr BWL-lastig?“, möchte eine Schülerin wissen. Studentin Dana Kopczak vom Chat nebenan schaltet sich zu. Sie studiert selbst in diesem Bereich, und zwar Immobilienwirtschaft. „Ja, Betriebs- und Volkswirtschaft spielen eine große Rolle“, antwortet sie, „aber das ist total spannend.“ Wie leite ich ein Unternehmen? Wie gestaltet sich richtiges Marketing? Solche Fragen würden erörtert.
Wie die Schülerin das findet, bleibt im Geknirsche hängen. Die Online-Variante bleibt eine Notlösung. Sonst seien immer viele Abiturienten mit ihren Großeltern im Akademie-Gebäude in Grünau aufgekreuzt, erzählt Direktorin Brauer. Es ist gut möglich, dass sie als vermittelnde Instanz in den Chat-Räumen irgendwie fehlen.
Mathias Wöbking
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 16.11.2020