„Ein Vorzeige-Beispiel“

Neue Pläne, neue künstlerische Leitung, nahender Umzug ins moderne Domizil – das Theatrium in Aufbruchstimmung – LVZ-Artikel vom 01.10.2010:

Manchmal gibt es auch noch das: das Fehlen einer folgenreichen Kuriosität in der Vita, das Ausbleiben eines Zufalls, der zur aktuellen Situation führte. Ein schlichter, unspektakulärer Weg hin zum Ist. Bei Sandra von Holn trifft das zu. Ein Kollege legte ihr nahe, sich als künstlerische Leiterin des Theatriums zu bewerben. Sie tat’s, bekam einen Gesprächs-termin, überzeugte. Und tritt heute ihren Job offiziell an.
Von Mark Daniel

Auf der unbedingten Suche nach einer Besonderheit würde man fündig: Larsen Sechert gab ihr den Bewerbungstipp – ihr Vorgänger am Theatrium und temporärer Mitspieler im Knalltheater, zu dessen Gunsten Sechert den Posten beim Kinder- und Jugendtheater abgab. Er und von Holn standen vor ein paar Wochen gemeinsam auf der Bühne – beim Sommertheaterstück „King Lear various“ im Feinkosthof. Eine seltsame Konstellation? „Überhaupt nicht, die Theatrium-Geschichte spielt da nicht rein“, so von Holn entspannt.
Die künstlerische Leitung im Grünauer Haus bedeutet einiges für die 1975 in Hannover geborene Schauspielerin, Regisseurin, Sängerin und Theaterpädagogin. Unter anderem das Ende der Pendelei: In den vergangenen Jahren sorgten Engagements in Erfurt, Dessau, Dresden oder Zwickau für die gewisse Ruhelosigkeit, die eine Weile inspirierend und irgendwann ermüdend sein kann. Stets blieb Leipzig der Lebensmittelpunkt; 1996 zog sie hierhin, für das Gesangs-, Tanz- und Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater, das sie 2002 abschloss; Regieerfahrung sammelte von Holn im Dresdner „Spielbrett“-Ensemble.
Dass ihre neue Aufgabe in einem besonderen sozialen Kontext steht, ist der Künstlerin sehr wohl bewusst. In Grünau macht man nicht nur Theater für, sondern auch gegen etwas – gegen Verödung im Plattenbau-Gebiet, gegen mehr oder weniger offenen Rassismus, gegen Auswirkungen von Hartz IV. Und nicht selten ist das Theatrium auch Auffangbecken für Jugendliche, die zu Hause weder Zuneigung noch Fürsorge oder Orientierung bekommen.
„Trotz oder gerade wegen dieses Hintergrundes werde ich nicht die Theaterpädagogin rauskehren“, bemerkt von Holn, „ich will den Kindern und Jugendlichen Spaß vermitteln, ihre Kreativität kitzeln“. Und das ganz im Sinne des Theatrium-Profils – mit einem Spielplan, der nicht selten das Düstere und das Komödiantische kombiniert; Stücke, in denen das Lachen in einen doppelten Böden sacken kann, ausgestreckte moralische Zeigefinger eingeklemmt werden. „In meiner Arbeit stelle ich gern die Sinnfrage, aber sie steht nicht über allem“, beschreibt die neue Leiterin, „ich vermische gern Genres und mag Persiflagen“.
Großen Respekt vor ihrer Aufgabe hat Sandra von Holn nicht zuletzt, weil diese mit dem Bezug der neuen Spielstätte wachsen wird. Vom brüchigen Flachbau der Miltitzer Allee geht es im November in den Neubau in der Alten Salzstraße. Zehn Jahre Suche nach einem adäquaten Haus gehen damit zu Ende, einem modern eingerichteten Haus. Das rund eine Million Euro teure Domizil bietet eine Menge räumlichen und inhaltlichen Spielraum. Unter anderem sind Theaterwerkstätten geplant, bei denen die Kinder und Jugendlichen selbst Theatertexte schreiben und diese dramaturgisch bearbeiten können, Bühnenbilder, Requisiten und Kostüme selber entwerfen und fertigen können. Sie bekommen die Chance, Plakatideen und Programmheft-Texte zu entwickeln und diese grafisch umsetzen. Erstmalig können sich so auch Leute an Theaterprojektarbeit beteiligen, die nicht auf der Bühne stehen wollen.
So weit, so traumhaft. Wäre da nicht immer dieser schnöde Mammon. Auch im Theatrium geht die Furcht wegen städtischer Kürzungspläne im Kultur- und Jugendhilfebereich um. „Mit weniger Fördermitteln wären unsere Vorhaben nicht umzusetzen – und das Neue Theatrium eine bestausgestattete Investruine“, warnt Theatrium-Geschäftsführerin Beate Roch.
Kulturamtschefin Susanne Kucharski-Huniat betont: „Durch die Erhöhung der Fördermittelquote des Amtes für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung können 194.000 Euro aus frei gewordenem städtischen Anteil an der Baumaßnahme für die Theatrium-Ausstattung eingesetzt werden.“ Zudem sei allen Beteiligten bewusst, „dass für die Betreibung höhere Aufwendungen anfallen werden. Das Jugend- und das Kulturamt werden sich über die Förderung des Vereins miteinander abstimmen.“
Blieben noch die Konditionen für den Mietvertrag. Im Theatrium zahlte der Großstadtkinder-Verein weder Heiz- noch Wasserkosten und eine geminderte Miete – aufgrund des maroden Gebäude-Zustandes. Die Kulturamtschefin informiert, dass für den Kontrakt noch Gespräche mit dem ASW notwendig sind. „Ich habe keinen Zweifel, dass es zu einer einvernehmlichen Lösung für und mit dem Verein kommen wird.“ Das liegt auch an der Schwerpunktsetzung des Amtes im Bereich kulturelle Bildung. „Diese steht bei uns ganz oben – und der Verein Großstadtkinder ist ein Vorzeige-Beispiel.“
Ein schlichter, unspektakulärer Weg hin zum Ist. Sandra von Holn und Beate Roch machen drei Kreuze, wenn das auch auf den Neustart des Theatriums zutrifft.
Mark Daniel

Quelle (Text und Foto): Leipziger Volkszeitung vom 01.10.2010