„Was Schiller in Grünau zu suchen hat“

Theatrium stellt Saison unter das Motto „Out of Order“ – LVZ-Artikel vom 12.09.2013:

Als das Theatrium jetzt in die Saison gestartet ist, war das Grünauer Jugendtheater proppevoll. Allerdings noch nicht mit Zuschauern, sondern künftigen Darstellern – die ab sofort Inszenierungen passend zum Spielzeitmotto „Out of Order“ entwickeln.
Es war nicht zufällig kurz vor der Leipziger Oberbürgermeisterwahl, als Anfang des Jahres eine Grünauer Jugendbande Schlagzeilen machte. Wenn sich nun eines von fünf Theaterprojekten, mit denen das Theatrium die neue Spielzeit beginnt, Schillers „Räuber“ vornimmt, dann finden die jungen Schauspieler und Regisseurin Almut Koch ihre Inspiration mithin nicht nur im Reclam-Heftchen, sondern auch direkt vor der Haustür. Die Bande aus dem Sturm-und-Drang-Drama würde ihr Unwesen heute vielleicht sowieso eher im Dickicht einer Shopping-Mal als im Wald treiben.
Mit „Out of Order“ überschreibt das Grünauer Jugendtheater die Saison 2013/14, ein Spielzeitmotto, das im Alltag meistens für Technik steht, die nicht funktioniert – das aber beispielsweise auch ein Leben jenseits der Gesetze bezeichnet. Die erste Premiere ist aber nicht vor April zu erwarten. Zuerst gilt es, die Inszenierungen zu erarbeiten. Als sich die Nachwuchsschauspieler kürzlich für drei Jugend- und zwei Kindertheaterprojekte einschreiben konnten, war der Andrang enorm. An die 100 Interessenten verzeichnen die fünf Projektleiter, „ein Viertel davon neu“, freut sich Sandra von Holn, die künstlerische Leiterin.
Seit Jahren registriert das Theater, dass es in jeder Spielzeit mehr Kinder und Jugendliche auf seine Bühne zieht. Mit der neuen Spielstätte, die der Trägerverein Großstadtkinder 2010 in der Alten Salzstraße bezog, gab es noch einmal einen kräftigen Schub. „Wir verfügen über ein sehr gut ausgestattetes Haus und etablieren uns immer stärker im Stadtteil“, sagt von Holn. Freilich bringt dieser Erfolg mit sich, dass das kleine Team aus acht festangestellten Teilzeitkräften und freien Mitarbeitern seine Kapazitätsgrenzen längst überschreitet.
Der Zeitaufwand lässt sich schon bei der künstlerischen Gestaltung kaum kontrollieren. Noch weniger fügt sich die soziale Aufgabe, die die Theaterleute in der Arbeit mit den Jugendlichen manchmal auch als Ansprechpartner für private Probleme erfüllen, in einen berechenbaren Dienstplan. Als ihr größtes Ziel sehen es die Leiter jeweils an, „aus Individualisten ein Ensemble zu machen“, wie es von Holn ausdrückt. Den wichtigsten Schritt gehen die Gruppen erfahrungsgemäß an fünf Tagen im Februar: bei einem Probenlager in Arendsee.
Im Zusammenspiel mit den anderen Ensembles gewinnt spätestens dort bestenfalls auch das Spielzeitmotto greifbare Konturen. Im „privaten, sozialen und globalen Umfeld“ soll gesucht werden, was alles „Out of Order“ sein kann, erklärt von Holn. In Fragebögen hatte das Theatrium bei den Jugendlichen bereits Stichpunkte gesammelt, bevor neben von Holn und Koch auch Kathrin Großmann, Anne Rab und Olek Witt, der neu am Haus ist, ihre Vorhaben konkretisierten. Schlagworte wie „Sucht“, „Rebellion“, „Technik“, „Verlust der Erreichbarkeit“ oder „Außer Kontrolle“ sollen etwa in ein Stück über „Rausch“ und in die Geschichte einer WG fließen, deren Bewohner das Jugendamt ausgewählt hat.
Mindestens so heterogen wie eine Jugend-WG sind die Theatergruppen besetzt. Ob einer von der Förderschule oder vom Gymnasium komme, spiele im Theatrium aber keine Rolle, so von Holn: „Das gemeinsame Ziel schweißt zusammen.“ Das Leipziger Jugendamt unterhält nicht nur WGs, es fördert auch diese „Theater-Gemeinschaft“ mit 140500 Euro im Jahr. Das Kulturamt schießt weitere 130000 Euro zu, außerdem erwirtschaftet das Theatrium im laufenen Jahr voraussichtlich 35 bis 36000 Euro an Eigenmitteln. Die Auslastung der 99 Sitzplätze liegt bei knapp 80 Prozent. Eine Quote, die dafür spricht, dass dem Jugendtheater nicht nur eine sozialpädagogische Bedeutung zukommt, sondern es auch künstlerisch überzeugt. „Wir wollen unser Publikum unterhalten“, betont von Holn. Geschäftsführerin Beate Roch würde ihr und ihren Kollegen, auch sich selbst, gern Tariflöhne bezahlen, bräuchte dafür aber pro Jahr etwa 10000 Euro mehr im Budget, wie sie ausgerechnet hat.
Spätestens wenn dem einen oder anderen Lokalpolitiker vor der Wahl des Leipziger Stadtrats im Mai wieder auffällt, dass in Grünau Jugendbanden existieren, sollte sich das Theatrium in Erinnerung bringen. Die Konflikte mögen dieselben sein. Aber hier werden sie auf einer Bühne ausgetragen.

Mathias Wöbking


Bis April setzt sich das Theatrium-Programm aus den Premieren der vergangenen Spielzeit zusammen. Am Samstag [14.09.] etwa ist Almut Kochs „Alles oder ich“ zu sehen – 20 Uhr, Theatrium (Alte Salzstraße 59), Karten für 7,50/4,50 Euro: 0341 / 9413640.

Weitere Infos unter: www.theatrium-leipzig.de


Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 12.09.2013