„Auf gute Nachbarschaft“


Kinder lernen sich auf dem Spielplatz kennen, Erwachsene treffen sich im Sportverein, Familien schließen Freundschaft im Schrebergarten: Wenn das Zusammenleben der Kulturen gelingen soll, muss es gemeinsame Orte für alle geben.


Ein Plädoyer von Bundesbauministerin Barbara Hendricks für starke, soziale Städte.


Die Aufnahme Hunderttausender Geflüchteter stellt unser Land vor eine doppelte Herausforderung: Wir müssen die zu uns Kommenden integrieren und dabei gleichzeitig unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahren. Es ist verständlich, wenn sich die Menschen fragen, wie Deutschland diese Aufgabe meistern kann. Das vergangene Jahr hat mich jedoch überzeugt, dass unser Land dieser Aufgabe gewachsen ist. Und dass wir ruhig etwas mehr Vertrauen in unseren Staat und unsere Gesellschaft haben dürfen.

Denken wir an das Thema Erstunterbringung: Die Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet, dass wir im Winter unzählige Schutzsuchende bei Schnee und Eis in ungeheizten Zelten unterbringen müssen. Das war weder Glück noch Zufall. Das war eine Leistung der Beschäftigten in Hilfsorganisationen, Verwaltung und Polizei, die in den letzten Monaten unzählige Überstunden auf sich genommen haben. Das war auch die Leistung zahlreicher Helfer aus Zivilgesellschaft und Unternehmen, die beherzt, mit viel Zeit und oft auch mit finanziellem Einsatz, angepackt haben. All denen, die hier mitgearbeitet haben, gebührt unser Respekt und Vertrauen. Sie sind die wahren Leistungsträger unseres Gemeinwesens, ohne die gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht funktionieren würde.

Die vor uns liegenden Aufgaben sind groß und nicht einfach zu lösen. Bund, Länder und Kommunen arbeiten gemeinsam daran, die zu uns kommenden Menschen zu integrieren. Zur Ehrlichkeit gehört die Feststellung: Das wird Zeit und Geld kosten. Wir brauchen Investitionen in die Integration sowie gleichzeitig in den sozialen Zusammenhalt. Konkurrenz- und Verdrängungsängste sind jedenfalls Gift für unser gesellschaftliches Klima. Deswegen müssen Investitionen nicht nur Geflüchteten, sondern der gesamten Bevölkerung zugutekommen. Damit Integration gelingt, müssen wir drei Dinge beherzigen:

Wir müssen vor allem dort investieren, wo die Lage angespannt ist und Konkurrenzsituationen drohen: Auf dem Arbeitsmarkt, bei der Bildung und nicht zuletzt in Sachen Wohnraum. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland rund 270.000 neue Wohnungen gebaut, wir benötigen aber mindestens 350.000 pro Jahr. Die Lücke ist also beträchtlich. Deswegen brauchen wir möglichst rasch neuen bezahlbaren Wohnraum in unserem Land. Die Erhöhung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau im vergangenen Jahr war ein erster Schritt. Hier müssen wir anknüpfen und noch einmal deutlich mehr Geld in die Stärkung unserer Städte und Nachbarschaften investieren. Aus diesem Grund habe ich für die Haushaltsberatungen 2017 eine nochmalige Verdoppelung auf jährlich 2 Milliarden Euro angemeldet. Davon profitieren alle: Diejenigen, die schon hier leben, sowie diejenigen, die neu hinzukommen. Wohnungsbau speziell für Flüchtlinge lehne ich ab.

Wir müssen eine schnellere und bessere Integration ermöglichen. Dafür muss der Staat investieren: In Schulen, Ausbildung, Arbeit, Sport und funktionsfähige Nachbarschaften. Das sind die Orte, an denen sich die Menschen persönlich begegnen und kennenlernen. Hier entscheidet sich, ob im Gegenüber ein neuer Kollege, Schulfreund, Mitspieler und Nachbar gesehen wird. Und genau auf dieser Ebene müssen wir ansetzen. Deswegen setze ich mich dafür ein, dass der Bund zusätzliche 300 Millionen Euro jährlich für die soziale Stadtentwicklung mobilisiert. Zum Beispiel für Investitionen in den öffentlichen Raum, in Sport- und Spielplätze sowie Bürger- und Jugendzentren. Ob im Sportclub, der Theater-AG oder bei den Schrebergärtnern: Hier lernt man sich kennen, hier findet man Anschluss, hier wird Integration gelebt. Wir sollten hier mit einem „Investitionspakt Integration“ unterstützen und Schulen, Kitas sowie Stadtteilzentren zu Orten der Integration ausbauen. Zudem werden wir künftig mit einer ressortübergreifenden Strategie Soziale Stadt die Mittel der Städtebauförderung noch enger mit sozialen Förderangeboten verknüpfen. Dabei spielen auch Quartiers- und Integrationsmanager eine Schlüsselrolle, die Ansprechpartner vor Ort sind, Beteiligung und Vernetzung organisieren und unbürokratisch bei der Lösung von Problemen unterstützen.

Wer bei uns in Deutschland bleiben will, muss sich integrieren. Das heißt ,unsere Sprache lernen, unsere Werte respektieren und Teil unserer Gesellschaft werden. Wir akzeptieren in unserem Land keine Parallelgesellschaften. Aus den Fehlern der Vergangenheit haben wir gelernt. Wir brauchen keine grauen Gettos aus Beton an unseren Stadträndern. Unser Ziel sind stabile, sichere und gemischte Quartiere. Denn Integration gelingt nur, wenn sich die Menschen in ihrer Nachbarschaft zu Hause fühlen.

Städte und Gemeinden tragen die Hauptlast bei der Unterbringung und Integration der Flüchtlinge. Die Quartiere sind der zentrale Ort der Integration, des Zusammenlebens und des Kennenlernens. Dort entscheidet sich, ob Integration gelingt, und dort muss mehr bezahlbarer Wohnraum für alle bereitgestellt werden. Die Stadt, in der Integration gelingt, ist aber mehr als die Summe ihrer Wohnungen. Deswegen muss der Wohnungsbau von einer sozialen Stadtentwicklung mit starken Nachbarschaften flankiert werden.

Barbara Hendricks, Bundesbauministerin

Quelle: Leipziger Volkszeitung – SONNTAG-Beilage vom 19./20.03.2016