Beginn des Grünauer Kultursommers mit beein-druckender Premiere im Theatrium – LVZ vom 12.06.2017
Raunen, Programmheftrascheln und aufgeregtes Tuscheln gespannter Eltern oder Geschwister erfüllten am Samstagnachmittag den ausverkauften Saal des Theatrium Grünau. Bereits zum zweiten Mal fällt es dem Jugendtheater zu, den Grünauer Kultursommer zu eröffnen, der dieses Jahr 21. Geburtstag feiert. Das betont auch Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke stolz in ihrer Begrüßung und gibt einen kleinen Ausblick, auf welche Projekte sich die Grünauer diesen Sommer noch so freuen können.
Bemerkenswertes Spiel: Szene aus „Ein Zipfel Glück“.
Aber den Anfang macht „Ein Zipfel Glück“, die sechste und letzte Premiere dieser Saison im Theatrium. 14 Kinder und zwei Erwachsene spielen in diesem Mehrgenerationenprojekt, geleitet von Katja Fischer, die auch den überaus guten Text lieferte. Das Publikum lernt zuallererst Elisabeth (quirlig und naseweis: Fine Schmidt) kennen, die lieber Elli genannt werden will. Sie stolpert auf einem ihrer Nachtspaziergänge über einen kleinen, schweigsamen Jungen und nimmt ihn kurzerhand mit nach Hause.
„Zuhause“ – das ist für sie eine Wohngemeinschaft mit anderen Kindern und zwei älteren Damen: Tante Doro und Gitta. Die beiden kümmern sich um verwahrloste Kinder oder Waisen und versuchen als engagierte Mitglieder der Kirchengemeinde krampfhaft, sie auf den „rechten Weg“ zu bringen, den Weg des Glaubens. Diese ganze Bibelleserei nervt Elli und ein paar der anderen schon irgendwie, aber erst als Fynn, wie sie den Jungen taufen, zu ihnen stößt und Zweifel an der Religion einbringt, fangen sie an, dieses Aufoktroyieren zu hinterfragen.
Nach und nach lernt der Zuschauer die Charaktere der Kinder und Jugendlichen kennen, schmunzelt über ihre Eigenheiten, lacht über die gezielt gesetzten Pointen und lässt sich in den WG-Alltag entführen. Und sie spielen alle wie die Großen, stecken manchen bekannten Schauspieler in puncto Textverständlichkeit locker in die Tasche und begeistern vor allem durch ihre Ehrlichkeit in Bühnenpräsenz und Spiel.
Außerdem fällt die Natürlichkeit der Inszenierung auf: Trotz viel Bewegung und Trubel auf der Bühne geht niemals der Fokus verloren, und der Aktionsfluss im Hintergrund wird nicht gebrochen. Lichteffekte und Musikeinspielungen ergänzen die Handlung stimmig, wobei Roger Biedermann und Tobias Stolle melancholisch fließende Melodien von Ludovico Einaudi ausgewählt haben.
Pepe Vogel als Fynn steht in der Gruppe anfangs isoliert, erdet die Atmosphäre jedoch durch seine ruhige Kraft und präsentiert am Ende ein sehr eindringliches Plädoyer für (Glaubens-)Freiheit und das Recht auf eine echte Kindheit. Aber nicht nur er, jeder einzelne der Spieler trägt zur hohen Qualität des Stücks bei, das vor allem auch Erwachsene zum Nachdenken über das Kindsein im Alltag anregen kann. Die überraschende Wendung am Schluss entlässt die Zuschauer mit bittersüßem Nachklang und einem Lächeln auf den Lippen.
Katharina Stork
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 12.06.2017