In Leipzig werden erstmals seit Jahrzehnten wieder neue Strecken entstehen – auch nach Grünau
(LVZ vom 15.10.2020)
Noch vor fünf Jahren hieß die bittere Leipziger Nahverkehrswirklichkeit: Streckenstilllegung. Damals fiel die Linie 9 zwischen Connewitz und Markkleeberg dem Rotstift zum Opfer. Jetzt müssten endlich Jahre des Aufbruchs folgen, wie es Linken-Stadträtin Franziska Riekewald in der Ratsversammlung am Mittwoch mahnend und etwas pathetisch zugleich formulierte. Tatsächlich vollzog der Stadtrat an diesem Tag eine 360-Grad-Wende. Nach Jahrzehnten der Schrumpfung hob er die ersten Projekte zum Ausbau des Leipziger Straßenbahnnetzes aufs Gleis.
Für drei Neubauvorhaben – die so genannte Südsehne, Thekla-Süd und die Anbindung des S-Bahnhofs Wahren – sollen nach den Worten von Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne) die Planungen sofort beginnen. Erst im Juli hatte der Rat einen Rahmenplan zu seiner „Mobilitätsstrategie 2030“ beschlossen. Mit den drei Vorhaben (geschätzte Baukosten: knapp 140 Millionen Euro) gehe es in die Konkretisierung des Beschlusses. Für weitere Neubauprojekte, so Dienberg, folge im nächsten Jahr „ein ganz umfangreiches Beteiligungsverfahren“. In dessen Ergebnis werde dann entschieden, „mit welcher Priorität welche Maßnahme verfolgt wird“. Ein Papier mit konkreten Zeitschienen wolle die Verwaltung dem Stadtrat 2023 vorlegen.
Ein Zeithorizont, den FDP-Stadtrat Sven Morlok kritisierte. „Ein ganzes Jahr muss ausreichend sein, um die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses in eine Vorlage zu gießen“, sagte er und setzte Dienberg eine Frist bis Ende 2022, was auch Zustimmung bei der übergroßen Mehrheit des Stadtrates fand.
„Wir brauchen dringend eine Verbesserung des ÖPNV“, begründete Morlok die Eile. Er zeigte sich zugleich zufrieden, dass es in Verhandlungen mit Finanzbürgermeister Torsten Bonew (CDU) schon gelungen sei, erforderliche Planungsgelder zu sichern. Morlok: „Das ist ein wichtiges Signal an die Bevölkerung, dass wir die Maßnahmen auch umsetzen.“ So sind allein für die nächsten beiden Jahre 450 000 Euro veranschlagt, für 2023 bis 2028 weitere 8,9 Millionen Euro.
Allerdings gibt es auch noch viele Unbekannte, von den Corona-Folgen für den Nahverkehr und der Finanzierung der Bauvorhaben mal ganz abgesehen. Niemand wisse, „wie lange die Planungen dauern“, bemerkte AfD-Stadtrat Tobias Keller. „Selbst wenn wir die Planungsreife haben, wird es Zeit in Anspruch nehmen zu bauen“, sagte SPD-Fraktionsvorsitzender Christopher Zenker. Es wäre daher durchaus schon ein Erfolg, wenn bis 2027, dem Ablauf der Amtszeit von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), wenigstens mit dem Bau der ersten drei Maßnahmen begonnen werde, hob Linken-Stadträtin Riekewald hervor.
Diese Neubauprojekte, ist Kristina Weyh (Grüne) jedenfalls überzeugt, werden dem Umstieg vom Auto auf die Straßenbahn neuen Schub geben.
Für diese drei Neubauprojekte sollen die Planungen sofort starten:
Südsehne
Strecke: Von Grünau bis Zentrum-Südost über Brünner Straße/Grünauer Allee, Schleußiger Weg, Kurt-Eisner-Straße, Semmelweisstraße bis Prager Straße mit Abzweig Semmelweisstraße über Straße des 18. Oktober zum Bayerischen Bahnhof.
Länge: 7,2 Kilometer.
Zahl der Haltestellen: 14 bis 16.
Geschätzte Baukosten: 104 Millionen Euro.
Nutzen: sehr hohes Nachfragepotenzial aufgrund hoher Wohn-, Gewerbe- und Dienstleistungsdichte, Entlastung der Innenstadttrassen.
Thekla-Süd
Strecke: Endstelle Thekla bis Oelsnitzer Straße über Theklaer Straße und Zschopauer Straße.
Länge: 1,6 Kilometer.
Zahl der Haltestellen: 4 bis 5.
Geschätzte Baukosten: 25 Millionen Euro.
Nutzen: überdurchschnittliches Nachfragepotenzial, da Nordanbindung zum Technischen Zentrum Heiterblick sowie bessere Erschließung des Ortslage Thekla und des Wohngebietes Thekla-Süd.
Wahren-Link
Strecke: S-Bahnhof Wahren/Travniker Straße über Linkelstraße zur Straßenbahnwendeschleife auf dem Pater-Aurelius-Platz.
Länge: 1,3 Kilometer.
Zahl der Haltestellen: 2 bis 3.
Geschätzte Baukosten: 10 Millionen Euro.
Nutzen: Anschluss des S-Bahnhofs Wahren an das Straßenbahnnetz sowie bessere Tram-Anbindung von Lindenthal-Süd und der Paul-Robeson-Oberschule.
Klaus Staeubert
Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 15.10.2020
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