„Das Comeback von Grünau“

Ein Lieblingsplatz von Bernd Puckelwaldt (rechts) befindet sich am Frankenheimer Weg. Dort hat sein Freund Fritz Hund mit seiner Frau ein kleines Gartenparadies angelegt: mit bunten Blumenbeeten, kleinen Windspielen, einem Brunnen und verschiedenen Sitzgelegenheiten. Foto: Nannette Hoffmann

Bernd Puckelwaldt hat als Komplex-Bauingenieur die Großwohnraumsiedlung mit aufgebaut.
Er erinnert sich an die Anfänge.

LVZ vom 01.06.2016


Seit 1980 ist Grünau Bernd Puckelwaldts Zuhause. Er hat dessen Entstehung in den Siebziger- und Achtzigerjahren aktiv begleitet, hat den Abriss nach der Wende miterlebt und geholfen, anschließend den Ruf Grünaus wieder ins rechte Licht zu rücken. „Ich habe in all den Jahren immer wieder erlebt, wie die Leute mich bedauerten, dass ich in Grünau arbeite und staunten, dass sogar dort lebe.“ Solche Sätze machten ihn traurig und wütend zugleich – auch heute noch. „Grünau ist ein lebendiger Stadtteil mit viel Potenzial, das kann ich beweisen. 
Aber viele Menschen verschließen die Augen davor und wollen es auch Jahre danach immer noch nicht sehen.“ Wer aber offen ist, dem zeigt Puckelwaldt Grünau in all seinen Facetten und wird nicht müde zu zeigen, warum es hier so lebens- und liebenswert ist.

Anfang der Siebzigerjahre hieß die Parole des SED-Wohnungsbauprogramms „Jedem eine Wohnung“. „Ob es eine Wohnung in der richtigen Größe war, stand auf einem anderen Blatt“, so Puckelwaldt. In Leipzig wuchs die Einwohnerzahl. Zugleich herrschte akute Wohnungsnot. Man brauchte neuen Wohnraum, auch für die zahlreichen Arbeiter in der Industrie. „Denn die Wohnungen in der Altstadt oder in den Gründerzeithäusern waren in einem äußerst schlechten Zustand“, berichtet Puckelwaldt. „Es gab Wohnungen, da lief bei Regen innen das Wasser an der Wand entlang, die Toiletten befanden sich oftmals im Treppenhaus und viele Dächer hatten noch die provisorische Noteindeckung aus den Vierzigerjahren.“ Also gab es den Plan, in Leipziger Westen ein großes Neubaugebiet zu errichten – mit einer ausgebauten Infrastruktur und ausreichend sozialen Einrichtungen. Ihr Vorteil: „Die Arbeitsplätze waren von da aus schnell mit neu gebauter Straßenbahn, S-Bahn oder dem Rad zu erreichen. Gleichzeitig prägen diesen Stadtteil das Naherholungsgebiet Kulkwitzer See, die Schönauer Lachen, zwei idyllische Parks sowie die zwei gestandenen Eigenheimsiedlungen.“

Auf einer Gesamtfläche von zweieinhalb mal vier Kilometern entstanden dann von 1976 bis 1988 acht Wohnkomplexe (WK) in moderner Plattenbauweise. Hinzu kamen 27 Kindertageseinrichtungen, 26 Schulen, 44 Kaufhallen und Verkaufsstellen, 16 Sporthallen sowie Ambulanzen, Gaststätten und Jugendeinrichtungen. „Von der ursprünglichen Planung wurde am Ende vieles nicht gebaut, wie zum Beispiel die Schwimmhallen.“ Im Schnitt waren bis zu 3.000 Bauarbeiter am werkeln. Geplant waren 27.000 Wohnungen, gebaut wurden am Ende sogar 36.000. 85.000 Menschen fanden darin ihr neues Zuhause. „Wohnen in Grünau galt damals als schick, Plattenbau als modern, denn es gab eine trockene Wohnung, Warmwasser aus der Wand, ein richtiges Bad mit Toilette. Zudem waren die Mieten mehr als moderat.“

In einem Höllentempo wurden die WKs gebaut. „Der Straßenbau kam gar nicht so schnell hinter. Viele Bewohner erreichten jahrelang ihren Block nur über provisorische Baustraßen. Schlammhausen war zu dieser Zeit ein oft genutzter Name über Grünau.“

Dann kam die Wende und Mitte der Neunzigerjahre verfiel der gute Ruf Grünaus. „Wer Geld hatte, baute sich sein eigenes Häuschen oder zog in die sanierten Gründerzeithäuser ins Zentrum“, sagt Puckelwaldt. Nach 1989 verlor Grünau fast 40 Prozent seiner Einwohner. Ein Grund war der Wegfall vieler tausend industrieller Arbeitsplätze. Nun galt Grünau nicht mehr als schick, sondern als negatives Symbol der DDR. Es kam zum Abriss vieler Wohnhäuser. 7.500 wurden es insgesamt. Fast alle 16-Geschosser mussten weichen, obwohl diese einen Aufzug hatten. Hinzu kamen einige 11-, 9- und 6-Geschosser. „An einigen Stellen entstand was Schönes“, sagt Puckelwaldt. Ein gutes Beispiel für den Umgang mit den neu entstandenen Flächen sei zum Beispiel der Kolonnadengarten in der Alten Salzstraße.

Seit 1991 sind laut Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung circa 68 Millionen Euro Städtebaufördermittel nach Grünau geflossen. Damit wurden unter anderem der Neubau des Kinder- und Jugendtheaters „Theatrium“ am neuen Standort im WK 2 und der Umbau eines Fernwärmeumformers zur Skatehalle „Heizhaus“ finanziert, der Kreuzungsbereichs der Stuttgarter Allee und der Alten Salzstraße zum „Grünauer Marktplatz“ umgestaltet sowie die Joachim-Ringelnatz-Schule saniert.

Heute kann Grünau 41.000 Einwohner und 27.000 Wohnungen vorweisen. Und es geht bergauf. „Grünau und der Leipziger Osten sind die Gebiete, die heute am stärksten wachsen“, sagt Baubürgermeisterin Dorothee
Dubrau. Es gibt wieder Zuzug. Ein großer Teil davon sind Rückkehrer, die zum Beispiel wegen einer Ausbildung wegzogen und sich nun bewusst für den Stadtteil entschieden haben. Auch der Neubau von Häusern geht voran. Die Wohnungsgenossenschaft „Lipsia“ eG plant zum Beispiel ein neues Hochhaus und hat bereits moderne Neubauten in der Nähe des Kulkwitzer Sees errichtet. Auf dem ehemaligen Kasernengelände entstand die Eigenheimsiedlung Schönauer Viertel.

Nanette Hoffmann

Quelle: Leipziger Volkszeitung vom 01.06.2016